Buchkritik -- Margaret Wertheim -- Die Himmelstür zum Cyberspace

Umschlagfoto  -- Margaret Wertheim  --  Die Himmelstür zum Cyberspace Die Menschen haben sich zu allen Zeiten über die Betrachtung des Raumes in dem sie physisch und spirituell lebten definiert. Nicht immer stand dabei der physikalische Raum im Vordergrund, sondern oft wurde er wesentlich von spirituellen Raum überlagert. Die verschiedenen Betrachtungsweisen des Raumes und ihre Veränderungen im Lauf der Zeit sagen viel über die Entwicklung der Menschheit aus.

Margaret Wertheim zeigt in ihrem Buch "Die Himmelstür zum Cyberspace" die verschiedenen Stufen, welche auf dem Weg zum virtuellen Raum genommen werden mußten. Ausgehend von der mittelalterlichen Vorstellung eines von der physischen Welt völlig getrennten spirituellen Raumes, zeigt Wertheim als Beispiel Dantes "Göttlicher Komödie".

Sie beinhaltet die mittelalterliche (christliche) Glaubensvorstellung. Der Raum, in dem das physiche Leben stattfindet, ist die Bewährung für das danach kommende, eigentlich spirituelle, Leben. Erst in Bezug auf das Kommende, Hölle, Purgatorium und Paradies, erhält das irdische Leben einen Sinn. Das Leben fand zwar im physischen statt, doch war es nur eine Bewährung für das "ewige" Leben im Paradies oder in der Hölle.

Diese mittelalterliche Vorstellung wurde abgelöst durch ein neues Verständnis des Raumes in der Renaissance. Durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, vor allem aber durch die Rückübersetzung der griechischen Philosophen, die durch die arabische Kultur vor dem Vergessen bewahrt wurden, bekam das Individuum einen immer größeren Stellenwert. Der Raum wurde weiter ausgedehnt und auch religiöse Vorstellungen einer Prüfung unterzogen. Kurioserweise waren viele römisch-katholisch Geistliche typische Renaissance-Menschen. Die Kirche stand kurz davor sich von Jenseits und dessen Vorstellungen auf immer zu verabschieden. Doch ein deutscher Mönsch namens Martin Luther wußte dies (leider) zu verhindern. Die Gegenreformation setzte ein und mit ihr eine gewaltsame Rückkehr zu einem nunmehr überlebten Bild eines jenseitigen Raumes.

Den größten Einschnitt jedoch bedeutete die Relativierung des Raumes durch Albert Einstein. Hatte der Mensch bis dahin noch die feste Überzeugung davon, das er ein Ziel und eine Bestimmung hatte, so war von nun an im wahrsten Sinn alles relativ. Der Mensch mußte sich seinen Raum selber definieren. Diese Freiheit erwies sich als eine schwere Bürde, denn nichts war mehr vorgegeben außer der Leere des relativen Raumes. Kein Ziel war vorgegeben, keine himmlische Macht wachte mehr über das Schicksal des Individuums. Die neue Freiheit schlug schnell um in universelle Einsamkeit. Keine Grenzen bedeuteten automatisch auch keine Wegmarken mehr zur Orientierung.

Hier nun kommt der virtuelle Raum des Internet zu Hilfe. Ursprünglich als Kommunikationsweg für das Militär und später auch für Universitäten gedacht, entwickelte sich das Internet in den letzten Jahren zu einem Massenmedium. Virtuelle Welten, die "Muds", schießen aus dem Netz wie Pilze im Wald nach einem Regenschauer. Hier können alle diejenigen und das sind anscheinend eine ganze Menge Menschen, die im realen Leben zu kurz kommen, denen das wirklich Leben zu schnell oder zu brutal ist, eigene (virtuelle) Welten erschaffen.

Da der allumfassende Gott schon vor 120 Jahren von Friedrich Nietzsche für tot erklärt wurde - er starb, so jedenfalls Nietzsche, an seinem Mitleid mit den Menschen, erklärt sich heute jeder Surfer zu einem kleinen Aushilfsgott und schafft sich seine eigene Welt. Ob gemütlich-rustikal, erotisch-brutal oder utopisch, jeder bekommt das, was er möchte. Ist die reale Welt auch noch so grausam, in der virtuellen Welt der Bits und Bytes geht alles in Ordnung.

Und gerade hier liegt die große Schwäche des Buches von Margaret Wertheim. Nach einer sehr guten Schilderung der Entwicklung der Raumvorstellung des Menschen, geht sie über in eine Schwärmerei für die virtuelle Welten. Das Internet sei, so behauptet sie, der Religionsersatz der heutigen Zeit geworden. Das mag in Ansätzen stimmen, doch als ein Zukunftsentwurf ist das ein bißchen zu kurz gefasst. Allein die Kommerzialisierung des Internets spricht eine klare Sprache dagegen. Zu unkritisch und nur an wenigen Stellen distanziert betrachtet die Autorin die negativen Auswüchse des Netzes.

Der Cyperspace ist mitnichten weder eine Form der Religion, noch ein Medium das aus allen Menschen Brüder und Schwestern machen wird, sondern einzig der Ausdruck der Verzweiflung darüber, das der Mensch sich selber aus dem Paradies herausgeworfen hat. Nietzsche hatte Recht: Gott ist tot, doch er ist nicht an seinem Mitleid mit den Menschen gestorben, sondern er hat sich über den Wahnsinn dieser Spezies totgelacht.




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