Buchkritik -- Krzysztof Wojciechowski -- Meine lieben Deutschen

Umschlagfoto  -- Krzysztof Wojciechowski  --  Meine lieben Deutschen Gibt es so etwas wie einen Nationalcharakter und wenn ja, wie manifestiert er sich? Sind alle Menschen einer Nation davon "betroffen", oder nur wenige? Sind diese Wenigen dann konstituierend für alle anderen? Kann man sich als Individuum der allgemeinen "Volkspsyche" entziehen? Wer diese Fragen beantworten will, der gerät schnell auf das dünne Eis der Voreingenommenheit, die schlimmstenfalls im puren Ressentiment eine argumentative Sackgasse findet.

Krzysztof Wojciechowski wagt sich trotzdem an einen Vergleich der Seelenlandschaft von Polen und Deutschen heran. Er, ein polnischer Akademiker, der seit 1991 an der Europa-Universität in Frankfurt an der Oder beschäftigt ist, geht den psychischen Unterschieden zwischen den beiden Nachbarn auf den Grund. Nicht immer gelingt ihm das nachvollziehbar. Da kann es schon mal vorkommen, daß der Autor darauf hinweist, daß die Deutschen früher aufstehen als die östlichen Nachbarn, dafür aber mit mürrischen Gesichtern herumlaufen. Im Gegensatz dazu die Polen, die den Abend lieber zu geselligem Beisammensein benutzen und demgemäß lieber etwas länger schlafen. (Mein privater Kommentar dazu war dann doch etwas boshafter Natur).

Doch der Autor versteht es auch in die Tiefe der menschlichen Psyche zu steigen, wenn er von der Willenstsärke und der Durchsetzungskraft der Deutschen spricht. Leider kann alles das, was er von Polen und Deutschen behauptet, ebenso für Engländer und Franzosen, für Italiener und Spanier gelten. Das Problem des Nationalcharakters besteht darin, daß es ihn eigentlich nicht gibt. Niemandem wird es in die Wiege gelegt, mit den Hacken zu knallen oder stundenlang in einer langen Menschenschlange nach Nahrungsmitteln anzustehen. Stets sind es die Verhältnisse, welche das Individuum dazu bringen. Wäre Wojciechowski im Süden Frankreich geboren worden, wäre seine Lebenseinstellung eine andere, als wenn er im schottischen Norden zur Welt gekommen wäre.

Unterschiede im Verhalten von Einzelnen, aber auch von Völkern werden durch viele verschiedene Aspekte, wie z. B. das wirtschaftliche System, die klimatischen Bedingungen, etc. bestimmt. Wer sich jemals mit einem friesischen oder irischen Fischer unterhalten hat, der kann nachvollziehen, was ich meine. Daraus auf einen, wie auch immer gearteten Nationalcharakter zu schließen, wäre alles andere als rechtschaffen. Natürlich gibt es so etwas wie psychische Merkmale eines bestimmten Lebensstils, doch diese liegen im Wesen jedes Einzelnen begründet und nicht im überaus schwammigen Begriff des Nationalcharakters. Ein Henry Ford wäre auch in der UdSSR in die Führungsspitze gelangt, ein US-amerikanischer Mafiosi wäre auch in Rußland kein Intellektueller geworden. Es ist der Zufall der Geburt, der uns in ein Land und in eine Situation schleudert, für die wir nichts können. Der individuelle Charakter jedoch und die persönlichen Fähigkeiten sind es dann, die für Erfolg oder Mißerfolg eines Lebenswegs sorgen. (Ende des Exkurses und zurück zur Kritik)

Während der Lektür des Buches Meine lieben Deutschen von Krzysztof Wojciechowski wird dem Leser klar, daß der Autor hauptsächlich über seine Begegnungen mit den Bürgern der ehemaligen DDR berichtet und aufgrund seiner eigenen Geschichte bis zum Jahr 1989 gar keine Möglichkeit hatte, auch auf die andere Seite des "Zauns" zu schauen. In den Jahren danach hatte er zwar auch Kontakte zu den sog. Wessis, doch zu diesem Zeitpunkt war sein Blickpunkt leider schon so eingeengt, daß er "..von den westlichen Ländern" spricht, "...,jenen von Schwäche geschlagenen, kranken, verfaulten, korrumpierten, ungerechten und amerikanisierten Gegenden".

An dieser Stelle hat der Kritiker das Buch, in der Gewißheit nichts mehr zu versäumen, geschlossen. Wer sich mit dem "Nationalcharakter" von Völkern beschäftigt, begibt sich, wie schon oben angesprochen, auf sehr dünnes Eis. Krzysztof Wojciechowski ist leider darin eingebrochen.




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