Buchkritik -- Gary Victor -- Die Zauberflöte

Umschlagfoto, Buchkritik, Gary Victor, Die Zauberflöte, InKulturA Was für eine bitterböse Satire aus der Feder des haitianischen Schriftstellers Gary Victor! Da wird einer, von dem man es niemals für möglich gehalten hatte, vom Präsidenten zum Minister für moralische und staatsbürgerliche Werte ernannt. Dieuseul Lapénuri, unauffällig bis zur schieren Nichtexistenz, vom Vater oft und gern missachtet, für seine Frau Anodine, die nach Höherem strebt, ein Versager, hat es jetzt also geschafft. Plötzlich ist der kleine und unscheinbare Beamte im Olymp haitianischer Politik angekommen.

Wie konnte das nur geschehen? So rätselt jedenfalls die Entourage des Staatsoberhauptes. Alle sind verwirrt bis ratlos, bricht doch einer ohne Stallgeruch, also jemand, der noch nicht die Spielregeln der Korruption und Bereicherung kennt, in den Kreis der politischen und finanziellen Profiteure des Landes ein. Allein Dieuseul kennt das Geheimnis seines kometenhaften Aufstiegs, der weniger mit seiner Sachkenntnis als mit, umschreiben wir es dezent, seinem Mund-Werk und dem Gefallen, den der Präsident daran findet, zu tun hat.

Das weckt natürlich Neider im Kreis der Mächtigen, zumal der arme Lapénuri sofort mit einem Projekt betraut wird, dem ersten schwul-lesbischen Festival in Port-au-Prince, das für die dortigen konservativen Kreise einen unerhörten Vorfall darstellt.

Es beginnt eine munteres Antichambrieren, Vertreter diverser Interessengruppen geben sich die Klinke des Büros des Ministers für moralische und staatsbürgerliche Werte in die Hände und interne Machtkämpfe, unter Zuhilfenahme örtlicher, nicht dem Gesetz verpflichteter Kreise, finden ebenfalls statt.

Gary Victor erzählt eine im wahrsten Sinn des Wortes irre Geschichte, in der ein kleiner Beamter in die Mühlen der großen Politik mit all ihren Fallstricken gerät. Nicht zuletzt die Korruption soll er bekämpfen – und das in einem Staat wie Haiti, in dem, ein immer wiederkehrendes Thema in seinen Romanen, die persönliche Bereicherung der Eliten zum Tagesgeschäft gehört.

Hinter sprachlichem Witz versteckt, nimmt der Autor ein weiteres Mal die Zerrissenheit der haitianischen Gesellschaft unter die Lupe und erweckt dadurch bei seinen Leserinnen und Lesern eine Ambivalenz, die immer zwischen Lachen und Bestürzung pendelt.




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Veröffentlicht am 10. Januar 2022