Buchkritik -- Hubert Achleitner -- flüchtig

Umschlagfoto, Buchkritik, Hubert Achleitner, flüchtig, InKulturA Dreißig Jahre ist Herwig mit Maria verheiratet und auf einmal verschwindet sie spurlos, nimmt jedoch einiges an Geld und den Volvo, die Zuverlässigkeit aus Schweden, mit auf ihre Reise. Denn, das weiß Herwig natürlich nicht, es wird für Maria eine Reise werden. Zu sich selbst, zu neuen Erfahrungen, neuen Freunden und Freundinnen und, am Schluss, auch zu einer anderen Sicht auf ihr Verhältnis zu Herwig.

Herwig, auch das muss gesagt werden, kommen alle wichtigen Frauen seines Lebens abhanden. Die Großmutter väterlicherseits wird er nie kennenlernen, denn sie verschwindet in den Wirren der letzten Kriegstage spurlos in Wien und lässt seinen späteren Großvater allein zurück. Auch Herwigs Mutter verschwindet – ausgerechnet bei einer Bergwanderung und stürzte, so die Ermittler, wahrscheinlich in eine Gletscherspalte.

Herwig ist Lehrer und ein bisschen langweilig. Zwar gönnt er sich ab und zu einen Schluck und ein Pfeifchen, doch Maria, nach einer fehlgeschlagenen Schwangerschaft mit sich und ihrem Körper hadernd, zieht sich immer mehr aus der Ehe zurück. Doch diese Ehe funktioniert mehr oder weniger, bis Maria durch Zufall, nein, doch eher wegen plötzlich auftretendem Misstrauen eine SMS liest, die Herwigs junge Freundin geschrieben hat und in der sie ihm ihre Schwangerschaft mitteilt.

Das war der Tropfen, der das Fass, Marias Fass, zum Überlaufen gebracht hat. Geld und Volvo eingesackt und ab auf den Highway Richtung Süden – flüchtig.

Es ist ein Buch wie ein Konzeptalbum. Kein Wunder, steckt doch hinter dem Namen des Autors, Hubert Achleitner, in Wirklichkeit der Musiker Hubert von Goisern, der mit „flüchtig“ seinen ersten Roman veröffentlicht hat.

Viele einzelne Geschichten umspielen immer wieder das Thema, wie Leben gelingen kann und zu welchen Bedingungen und unter welchen Voraussetzungen. So lernt Maria auf ihrer ganz persönlichen Reise moderne Hippies kennen, deren anachronistische Parallelwelt die ehemalige stellvertretende Leiterin einer Bank zwar reizvoll findet, jedoch lebensklug genug ist, um sich davon nicht mitreißen zu lassen.

Dann doch lieber eine Ménage-à-trois mit ihrer neuen Freundin, einer jungen Anhalterin, die ebenfalls auf der Suche nach ... ist und einem attraktiven griechischen Musiker, in dessen Wohnung die beiden Frauen eine Weile leben und lieben.

Und genau in Griechenland trifft Vergangenheit auf die Gegenwart. Die deutsche Besetzung während des Zweiten Weltkriegs und eine daraus resultierende mögliche Verwandtschaft von Herwigs Vater mit einem Griechen.

Es ist in weitesten Sinn ein Roman über Gott und die Welt und kreist unter griechischer Sonne um das Thema, wie im Diesseits leben, angesichts des Numinosen, was besonders Maria nach dem Schiffbruch und ihrer Rettung erfährt.

Zugegeben, manchmal kommt „flüchtig“ etwas zuckersüß daher, was besonders am Schluss des Romans etwas befremdlich wirkt, weil das wirkliche Leben, im Gegensatz zur Musik, nur selten perfekte Harmonie gestattet. Nichtsdestoweniger ist der Roman ein gar nicht so flüchtiges Werk über individuelle Möglichkeiten, persönliche Chancen und neue Lebenswege, die diejenigen, die danach suchen, immer auch finden werden.




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Veröffentlicht am 20. August 2020