Wenn Ökonomie auf Philosophie trifft, stellen sich bei nicht wenigen Menschen die Nackenhaare auf und der „Igitt-Faktor“ feiert fröhlich sein mit Vorurteilen beladenes Fest. Seit nunmehr neun Jahren beweist „agora42“ einem stetig wachsenden Leserkreis das Gegenteil. Einer der Mitherausgeber des Magazins, der Philosoph Richard David Precht, bringt es auf den Punkt: „Dass sich Ökonomen kaum noch für Philosophie, Philosophen kaum mehr für Ökonomie interessieren, ist ein gesellschaftliches Fiasko.“
Diesem Debakel will das philosophische Wirtschaftsmagazin entgegenwirken und bietet ein Forum, einen, wie der Name des Magazins andeutet, Marktplatz für den Austausch von manchmal kontroversen Ideen. Die Jubiläumsausgabe trägt dann auch den Titel „42“, Lesern der Romanreihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams bekannt als die Antwort des Supercomputers „Deep Thought“ auf die Frage einer außerirdischen Kultur „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. Die nach immerhin nur 7,5 Millionen Jahren Rechenzeit gelieferte Antwort hinterlässt Ratlosigkeit, denn so der Computer, die Frage selber wurde zu vage gestellt. Er schlägt daher den Bau eines noch größeren, noch leistungsfähigeren Computer, den Planeten Erde, vor. Wie dieser Plan ausgeht, wissen wir...
Die aktuelle Ausgabe von „agora42“ will zwar nicht die Frage „...nach dem ganzen Rest“ beantworten, attestiert unserer Zeit jedoch einen Epochenwechsel, der, ausgelöst durch die Pleite der Investmentbank Lehmann Brothers, die Gültigkeit bislang angewandter Paradigmen auf den Prüfstand stellt.
Im Gegensatz zu „Deep Thought“ stellt das Magazin knallharte Fragen, die die anstehenden Probleme fokussieren. Haben wir die Errungenschaften der Aufklärung zu weit getrieben oder befinden wir uns längst in einer Phase der Post-Aufklärung, in die uns unsere Vergötterung der Rationalität geführt hat? Wenn wir die Probleme schon erkannt haben, warum ändern wir weder uns noch arbeiten an Lösungsmöglichkeiten? Die sich unmittelbar daran anschließende und letztendlich entscheidende Frage lautet, was wir ändern sollten – immerhin keine leichten Aufgaben.
Unser Wirtschaftssystem, so Thomas Vogel, Professor für Erziehungswissenschaft in Heidelberg, verfehlt die fundamentalen Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, und, wer will das bestreiten, zerstört gleichzeitig unsere Lebensgrundlagen. Weitaus pessimistischer ist der Professor für Philosophie an der ETH Zürich, Michael Hampe, der den Zeitpunkt für eine Umkehr längst für überschritten hält, denn "Nicht-narzisstische, kooperative, mitfühlende, vor Selbstdarstellung zurückschreckende und sich selbst zurückhaltende Persönlichkeiten werden zu Außenseitern."
Ariadne von Schirach attestiert der Wohlstandsgesellschaft ein Sinn-Problem trotz oder gerade wegen unserer materiellen Saturiertheit und wenn die Philosophin Peggy Hetmank-Breitenstein die Frage stellt "Wer möchte heute eigentlich in einer der nächsten Generationen leben?“ und auch der Leser sie mit einem „Ich nicht“ beantwortet, dann ist der gesellschaftlich-politische Zustand schlimmer als befürchtet.
Können grüne Technologien uns vor dem Kollaps bewahren? Der Postwachstumsökonom Niko Paech negiert das vehement, denn "Alle bislang bekannten grünen Technologien lösen keine ökologischen Probleme, sondern transformieren diese nur in eine andere physische, räumliche, zeitliche oder systemische Dimension."
Was also kann die Politik, kann die Wirtschaft, können wir unternehmen, um auf die anstehenden Probleme die richtigen Lösungen zu finden? Oder, provokante Frage, wollen wir die vielleicht gar nicht suchen, weil wir uns alle, wie Philippe Merz es schreibt, in unsere jeweiligen Filterblasen des „Neo-Biedermeier“ zurückziehen?
Eines ist nach der Lektüre dieser Ausgabe von „agora42“ evident: Nichtstun ist keine Alternative.
Veröffentlicht am 9. Oktober 2018