Die letzte groß angelegte Militäroperation der Israelischen Streitkräfte war die "Operation Gegossenes Blei" vom 27. Dezember 2008 bis zum 18. Januar 2009. Israels Begründung für diese Offensive war der jahrelangen Raketenbeschuss israelischer Städte aus dem Gazastreifen. Die Zielsetzung dieses Krieges war widersprüchlich. Für das israelische Militär ging es um die Zerstörung der Hamas-Organisation durch gezielte Angriffe auf deren Infrastruktur wie z. B. Waffenlager und Polizeistationen, aber auch auf Moscheen und Wohnhäuser. Die politischen Vertreter dagegen sprachen "nur" von einer Schwächung der Hamas, so die israelische Außenministerin Tzipi Livni.
Einer hochgerüsteten, modernen und kampfstarken Armee standen hauptsächlich Zivilisten gegenüber. Der Gazastreifen mit einer Fläche von ca. 360 km² und einer geschätzten Einwohnerzahl von 1.500.000 hat eine Bevölkerungsdichte von etwas 4100 Einwohner pro km². Schon aus diesem Größenverhältnis geht hervor, dass es dem israelischen Militär nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich war, sich ausschließlich auf militärische Ziele zu konzentrieren.
Andrea Ricci, der in Beirut lebende Autor, hat in seinem Buch Gaza - Die Kriegsverbrechen Israels die Ereignisse aus der Sicht der Betroffenen beschrieben. Er lässt Überlebende zu Wort kommen und schildert das wirkliche Ausmaß der israelischen Offensive. Der Band stellt eine große Anklage gegen die israelische Kriegsführung dar, die in Wirklichkeit aus einem Einzigen großen Kollateralschaden bestand.
Ganze Familien wurden getötet, Häuser wahllos zerstört, Krankenhäuser bombardiert und große Teile der Bevölkerung aus ihrem Umfeld vertrieben. Als Israel seine letzten Truppen am Dienstag, dem 21. Januar 2009, abzog, begann die Hamas sofort wieder Schmugglertunnel nach Ägypten in Betrieb zu nehmen und neue Tunnel auszuheben. Das erklärte Kriegsziel, die Schwächung der Hamas, wurde nicht erreicht.
Geblieben ist das Bild einer politischen und militärischen Führung, die bereit gewesen ist, einem von vornherein zweifelhaften militärischen Ziel, Opfer der Zivilbevölkerung zu akzeptieren. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation PCHR bezifferte die Anzahl der getöteten Zivilisten mit 926, darunter 313 Kinder und Jugendliche. Nach israelischen Angaben 295 Zivilisten, davon 89 Kinder.
Andrea Ricci zeigt, unabhängig von den jeweils veröffentlichten Zahlen die Schicksale der Betroffenen, die Vernichtung ihres Eigentums und deren Existenzgrundlage. Ein Krieg, in dessen Verlauf mehr Zivilisten als Kombattanten getötet werden, kann nicht als Krieg einer, wie die israelische Armee von sich selbst behauptet, "moralischen Armee", bezeichnet werden.
Die "Operation Gegossenes Blei" war neben der zweifelhaften militärischen Auseinandersetzung ebenfalls ein publizistischer Kampf um die Deutungshoheit der israelischen Militärstrategie. Kritik an derselben wird von einflussreichen und wortführenden Institutionen und Einzelpersonen generell als Antisemitismus bezeichnet. Leider sind die politischen Eliten in Deutschland sehr schnell dazu bereit, sich dieser Kritik zu enthalten.
Jede gewalttätige Auseinandersetzung, jeder Konflikt und jeder Krieg wird von den daran Beteiligten gemäß ihren Intentionen und Zielen interpretiert. So auch der bislang letzte Krieg im Gazastreifen. Der arabische Fernsehsender Al Jazeera berichtet über diesen Krieg natürlich aus einem anderen Blickwinkel als z. B. das Öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland. Das ist verständlich, dient jedoch keinesfalls einer umfänglichen Information. Auch das Geleitwort von Jürgen Elsässer zu diesem Band verschweigt leider die zahlreichen Proteste in Deutschland und der EU gegen diesen Krieg. Die Leidtragenden davon sind die Menschen, denen der Autor Andrea Ricci dieses Buch gewidmet hat.
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