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Buchkritik -- Mick Herron -- Bad Actors

Umschlagfoto, Buchkritik, Mick Herron, Bad Actors, InKulturA In der Welt der Spionageliteratur, die oft von glamourösen Helden und hochtechnisierten Operationen geprägt ist, hat Mick Herron ein subversives Paralleluniversum erschaffen: Slough House. Es ist das Fegefeuer des britischen Geheimdienstes, ein heruntergekommenes Londoner Bürogebäude, in das jene Agenten verbannt werden, die gestolpert, gefallen oder schlichtweg unbrauchbar geworden sind. Hier, im bürokratischen Exil, fristen die „Slow Horses“ ihr Dasein mit stupiden, sinnentleerten Aufgaben, eine Schar von Gescheiterten, die zwischen der Resignation ihrer Schmach und der leisen, verzweifelten Hoffnung auf eine zweite Chance oszilliert.

Im Zentrum dieses Panoptikums menschlicher Schwächen thront Jackson Lamb, ein Relikt des Kalten Krieges, dessen äußere Erscheinung, grob, unflätig, permanent verkatert, seine brillante politische Intelligenz Lügen straft. Lamb ist der unbestrittene Herrscher dieses Reiches der Ausgestoßenen, ein Meister der psychologischen Kriegsführung, der seine Untergebenen mit der gleichen Inbrunst verunglimpft, mit der er sie gegen die Intrigen der Außenwelt verteidigt. Seine Stellvertreterin Catherine Standish fasst seine ambivalente Natur treffend zusammen: „In einer Tragödie wäre er der letzte Überlebende, blutüberströmt. In einer Komödie wäre es ungefähr dasselbe.“

In „Bad Actors“, dem neuesten Band der Reihe, gerät diese dysfunktionale Familie von Spionen einmal mehr in die Mühlen der großen Politik. Während sich Großbritannien langsam aus den Fesseln des Covid-19-Lockdowns befreit, schmiedet Anthony Sparrow, ein machthungriger Sonderberater des Premierministers, Pläne, den Geheimdienst seiner Kontrolle zu unterwerfen. Sparrow, von einem Beobachter treffend als „einheimischer Napoleon: widerlich, britisch, klein“ beschrieben, legt sich dabei mit der nicht minder machiavellistischen Diana Taverner an, der Ersten Sekretärin des MI5. In den Strudel dieses Machtkampfes werden unweigerlich auch die „Slow Horses“ hineingezogen, und was folgt, ist ein meisterhaft choreografiertes Chaos aus Intrigen, Verrat und unerwarteten Loyalitäten.

Doch die eigentliche Brillanz eines Herron-Romans liegt niemals allein in der clever konstruierten Handlung. Das Herzstück seiner Kunst ist die unnachahmliche Verbindung aus scharfsinniger Gesellschaftssatire, messerscharfem Witz und einer tiefen, fast zärtlichen Empathie für seine fehlbaren Charaktere. Herron seziert mit chirurgischer Präzision die Eitelkeiten, Ängste und Sehnsüchte seiner Figuren und hält damit der modernen britischen Gesellschaft einen Spiegel vor. Ein Besuch in Mick Herrons Welt ist mehr als nur die Lektüre eines Spionageromans; es ist eine Begegnung mit unvergesslichen Charakteren, deren Schicksal noch lange nach der letzten Seite nachhallt und die leise Hoffnung weckt, diesem grandiosen Ensemble und einer weiteren brillanten Anatomie des Scheiterns bald wieder zu begegnen.




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Veröffentlicht am 31. Dezember 2025