Diese Webseite benutzt keine Cookies!!!.
In John Banvilles meisterhaftem Roman „Schatten der Gondeln“ begegnen wir Evelyn Dolman, einem englischen Reiseführerautor von selbstgefälliger Prätention, der die eigene Wichtigtuerei mit Intellekt und eine latente Sehnsucht mit Romantik verwechselt. Kaum ist er mit seiner kühlen, unnahbaren Gattin Laura in Venedig eingetroffen, beginnt er unweigerlich zu versinken, moralisch wie geografisch.
Das Paar bezieht Quartier in einem heruntergekommenen Palazzo, dessen Besitzer, Graf Barbarigo, wie eine Gestalt aus Kerzenwachs und narzisstischer Selbstverliebtheit anmutet. Seine Gastfreundschaft hat den Beigeschmack subtiler Erpressung. Während der Diener Beppo mit eidechsenhafter Zunge durch den Nebel huscht, schwebt die barfüßige Magd Rosalia wie eine fleischgewordene Versuchung durch die morbiden Hallen. In dieser Kulisse des Verfalls dauert es nicht lange, bis Evelyn auf Cesca und ihren Bruder Freddie trifft, zwei Gestalten von zweifelhafter Reputation, deren moralischer Kompass fragiler ist als das Pflaster des Markusplatzes nach einem Herbstregen.
Cesca, eine Meisterin der inszenierten Verzweiflung, gibt Dolman genau das, wonach er sich sehnt: die Illusion, dass Korruption eine Form von Romantik sei. Er, der sich für einen Renaissance-Helden hält, aber eher einer Fußnote in seinen eigenen Reiseführern gleicht, erliegt ihrer Kunst der Halbwahrheit. Er verwechselt seinen moralischen Kollaps mit emotionaler Tiefe, während seine Frau Laura zusehends kälter, stiller und auf eine befremdliche Weise amerikanischer wird.
Banville inszeniert Dolmans Niedergang als eine Art Reiseerzählung der Eitelkeit. Der Mann, der einst Kathedralen katalogisierte, dokumentiert nun mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen die Architektur seines eigenen Untergangs. Das Unheil schleicht sich in seidenen Handschuhen an, und Dolman, der unzuverlässige und zutiefst unsympathische Erzähler, begrüßt es beinahe, als wäre es ein weiteres exquisites Stück kontinentaler Kultur. Er ist gefangen in einem Netz aus flüchtigen Beobachtungen, unerwarteten Besuchen der Polizei und der quälenden Ungewissheit, ob er Opfer oder Täter ist.
Die Prosa selbst ist von boshafter Schönheit. Jeder Satz scheint mit der Präzision eines Mannes geschliffen, der weiß, dass Adjektive tödlicher sein können als Verben. Die Dekadenz der Erzählung sickert wie Feuchtigkeit in die Seele des Lesers. Banvilles Stil ist ein literarisches Pastiche, das an die großen Meister erinnert: Henry James für die psychologische Tiefe, Nabokov für die perverse Eleganz, Proust für den sinnlichen Verfall und Beckett für das trockene Lachen im Angesicht der Absurdität. Doch inmitten dieser Echos erweist sich Banville als ein singuläres literarisches Ereignis, ein Stilist und Sadist in Personalunion.
In weniger fähigen Händen hätte „Schatten der Gondeln“ in einem Morast aus Klischees versinken können. Doch Banville, ein Virtuose der raffinierten Handlung und atmosphärischen Dichte, erschafft einen meisterhaft komponierten Noir-Roman, der die Grenzen des Genres sprengt. Es ist ein intellektueller und sinnlicher Lesegenuss, der den Leser bis zur letzten Seite im Ungewissen lässt und lange nachhallt.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 16. Dezember 2025