Buchkritik -- Hélène Bessette -- Ist Ihnen nicht kalt

Umschlagfoto  -- Hélène Bessette Die Werke von Hélène Bessette, die bislang von der modernen Literaturgeschichte kaum wahrgenommenen wurden, werden langsam auch in Deutschland wieder entdeckt. Der Schweizer Literaturverlag Secession hat mit Ist Ihnen nicht kalt bereits den zweiten Roman der von Marguerite Duras und Nathalie Sarraute sehr geschätzten französischen Autorin veröffentlicht.

Ein Mann wird von seiner Frau, mit der er zehn Jahre verheiratet war, verlassen. Er, ein 30jähriger evangelischer Pfarrer, versucht sie zur Rückkehr zu überreden. In Briefform lässt Bessette den verlassenen Ehemann zu Wort kommen. Die Antworten seiner Frau werden dem Leser ausschließlich durch dessen Erwiderungen zugänglich gemacht.

Er will seine Frau dazu überreden, zu ihm zurückzukehren. Im Lauf seiner Monologe wird klar, weshalb er das drohende Ende der Ehe abwenden will und mit allen Mitteln um die Heimkehr seiner Ehefrau kämpft. Sein Leben und nicht zuletzt sein Beruf als Pfarrer, ja sogar seine ganze Welt, erweist sich als eine subjektive Konstruktion aus Lügen, Heucheleien und Selbstbetrug, die durch die Ausnahmesituation des Verlassenwerdens droht zerstört zu werden.

Er beschwört und droht. Er verlangt und fleht zugleich. Er stellt Ultimaten, die durch sein Hoffen immer wieder verstreichen. Er ist selbstgerecht und opportunistisch. Seine Eitelkeit ist verletzt. Sie - seine Frau - sollte sich einmal vorstellen, wie er als Pfarrer seiner Gemeinde als verlassener und vielleicht betrogener Ehemann gegenübertreten soll. Im gleichen Atemzug versichert er jedoch, bereits Ersatz für sein leeres Bett und für die Erziehung der zwei Kinder gefunden zu haben. Seine Stimmungen, von Bessette grandios mit staccatoähnlichen Halbsätzen wiedergegeben, seine Empörung und seine Erregung kann er, er wortgewandte Prediger seiner Gemeinde, nur atemlos anmutend zum Ausdruck bringen.

Mit kaum unterdrückter, nahezu ohnmächtiger Wut will er seine Frau zur Rückkehr bewegen. Er braucht seine Ehepartnerin nicht deshalb weil er sie immer noch liebt, dazu ist er gar nicht in der Lage, sondern sie ist für ihn ein Schutzschild gegen eine Gesellschaft, derer er längst überdrüssig geworden ist. Er spielt, nicht nur in der Rolle des Pfarrers, "Großes Theater". Er erweist sich aufgrund seines Mangels an Authentizität allenfalls als Poseur, dessen klägliches Spiel durch den Weggang seiner Frau sich als hohles Pathos erweist. Es ist die Diktion eines Mannes, der sich der drohenden Auflösung seiner inneren Strukturen bewusst ist. Dieser hat er nichts entgegenzusetzen, weil er sich schmerzhaft darüber im Klaren ist, das sein Leben in Wahrheit nur eine Attitüde darstellt.

Ist Ihnen nicht kalt von Hélène Bessette - wieder kongenial übersetzt von Christian Ruzicska - ist ein beklemmend zeitloser Roman über männliche Omnipotenzansprüche.




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