Buchkritik -- Christoph Held -- Bewohner

Umschlagfoto, Buchkritik, Christoph Held, Bewohner, InKulturA Eine der Begleiterscheinungen im letzten Abschnitt eines Menschenlebens kann das Auftreten der Alzheimer-Demenz sein. Die davon Betroffenen, mehr aber noch die Angehörigen und, wie Christoph Held sie in seinem bewegenden Buch nennt, Pflegenden werden Zeugen dramatischer Persönlichkeitsveränderungen, welche die psychische Belastbarkeit aller Beteiligten bis an die Grenze dessen, was noch erträglich ist, ohne selbst Schaden zu nehmen, führt.

"Der Erzähler dieses Buches ist lediglich Chronist einer langjährigen Veränderung und Ahnungslosigkeit", so der Autor, der seine Erfahrungen als Gerontopsychiater schildert. "Bewohner", so nicht nur der Titel des Buches, sondern auch Helds Bezeichnung der fiktiven Personen, deren letzten Auftritten auf der Bühne des Lebens er einen würdevollen, jedoch im Einzelfall auch verstörenden Rahmen verschafft.

Es sind Menschen unterschiedlichster Herkunft, Bildung und Lebensweise. Ob Schauspielerin, Verwaltungsratspräsident, Gastwirtin, Kellner, eine Frau, die sich längst für tot hält oder eine Pharmareferentin, die durch ein Erbe zu einer vermögenden Frau wurde, sie alle eint die Tatsache, sich zum Ende ihres Lebens in einem, nennen wir es Theaterstück, wiederzufinden, deren Rollen ein unerbittlicher Dramaturg geschrieben hat.

Im Leben aus dem Leben fallen. So kann der Leser wohl am besten die von Christoph Held erzählten (Lebens)Geschichten verorten. Schleichend und von den Betroffenen nicht oder kaum bemerkt, vollzieht sich eine Veränderung in deren Persönlichkeit, die sukzessive das ausradiert, was wir das Wesen eines Individuums nennen.

Diese Veränderungen bemerkt zuerst das unmittelbare Umfeld der Betroffenen.Verwandte, Kollegen und Freunde werden Zeugen von sich wandelnden und häufenden Vorfällen, deren Diskrepanzen zum bisherigen Verhalten einzig von denen nicht bemerkt werden, die sie mit ihrem Verhalten auslösen. So lässt der Autor dann auch seinen Bewohnern nahestehende Menschen zu Wort kommen und schildert deren Rat- und Hilflosigkeit angesichts der sich abzeichnenden Veränderungen.

Auch die Pflegenden stehen großen psychischen und physischen Belastungen gegenüber. Der Umgang mit den teils schwierigen Bewohnern der Pflegeeinrichtungen gestaltet sich, je weiter sich die Alzheimer-Demenz ausbreitet, immer schwieriger. Christoph Held berichtet über diese, für die Gesellschaft nahezu unsichtbaren, jedoch unverzichtbaren Menschen mit großem Respekt.

Drei Wörter, eine kurze Frage, drücken die ganze Dramatik aus, die den letzten Akt des Schauspiels Leben treffend beschreibt. Wenn die Frage "Wer bin ich?" keine philosophische mehr ist, sondern Symptom einer Krankheit, die zu irreversiblen Veränderungen im Gehirn führt und dem Individuum das letzte noch verbliebene Merkmal seines Lebens, die Persönlichkeit, nimmt, es also zu einem, im eigenen Körper gefangenen Fremden macht, dann kehrt mit voller Wucht das stets unter der Oberfläche lauernde Wissen um die Fragilität der menschlichen Existenz zurück.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 18. Oktober 2017