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Im Mai 1968 ist Paris Schauplatz einer gewaltigen gesellschaftlichen Umwälzung. Studenten erheben sich in einem Akt der Rebellion gegen die bestehenden Strukturen und werfen das Korsett des etablierten Systems ab. Die Straßen der Stadt brennen, Barrikaden werden errichtet und Auseinandersetzungen mit der Polizei sind an der Tagesordnung. In diesen aufgewühlten Zeiten gelingt es den staatlichen Autoritäten nicht, die Ordnung wiederherzustellen. Gemeinsam mit den Arbeitern, die sich den Protesten angeschlossen haben, fühlen sich die rebellierenden Studenten auf der Schwelle zu einem Umbruch. Es scheint, als stünde ein epochaler Wandel bevor.
Inmitten dieser Aufstände befindet sich der junge, hochintelligente Hervé, ein Student und ein Suchender, getrieben von einer Faszination für das weibliche Geschlecht, jedoch ohne bisher eine feste Freundin gefunden zu haben. Ihm gegenüber steht sein Halbbruder Mersch, der als Polizist und Agent Provocateur in die Proteste verwickelt ist. Er verkörpert das absolute Gegenteil von Hervé: impulsiv, antiintellektuell, ein Mann, der sich auf Instinkt statt Vernunft verlässt und seine Überzeugungen gern mit Fäusten untermauert.
Hervés Schicksal nimmt eine düstere Wendung, als er eine seiner drei angebeteten Frauen tot in ihrer Wohnung findet. In seiner Not wendet er sich an seinen Halbbruder, der diese Abwechslung von seinen offiziellen, verdeckten Einsätzen nur zu gerne aufgreift, da ihm die staatlich angeordneten Untergrundaktivitäten bereits gewaltig widerstreben. Als kurze Zeit später eine weitere von Hervé begehrte Frau tot aufgefunden wird, wird klar, dass auch die dritte Angebetete, Nicole, sich in akuter Lebensgefahr befindet – der Täter hat sie bereits im Visier.
Hervé, Mersch und Nicole verbünden sich und begeben sich auf die Spur des Mörders sowie dessen Motiv, das, wie sich bald zeigt, im Einfluss einer geheimnisvollen indischen Sekte wurzelt. Um der Fährte zu folgen, wagen sie den Schritt in ein fernes Indien – ein Indien, das in den 1960er Jahren noch als extrem arm, verwahrlost und voller Widersprüche gilt. Inmitten der Vielfalt der indischen Religionen und der Realität eines armseligen Alltags finden die drei Abenteurer nur durch den Genuss bewusstseinserweiternder Drogen eine Form des Ertragens und Fortbestehens.
Jean-Christophe Grangé erschafft, kongenial übersetzt von Ina Böhme, mit seiner sprachlichen Kraft eine indische Welt, die für den westlichen Leser fremdartig, verstörend und zugleich faszinierend ist. Er schildert ein Indien, das zwischen spirituellen Welten und harten Lebensverhältnissen oszilliert, ein Land, in dem die Macht des Glaubens auf den noch größeren Schrecken der Realität trifft. Diese Erfahrungen prägen die noch immer jugendlich naive Nicole tief und schockieren auch Hervé, den jungen Intellektuellen, während Mersch, der hartgesottene Ermittler, unerschütterlich seiner ganz eigenen Vorstellung von Gerechtigkeit nachjagt.
Merschs kompromisslose Härte erfährt jedoch einn Dämpfer, als er die Wahrheit über seine eigene Herkunft erfährt. Das Wirken seines Vater, ein Geheimnis, über das seine Mutter stets Stillschweigen bewahrt hat, bringt ein noch größeres Entsetzen ans Licht. Die Spur des Grauens führt schließlich nicht nur durch den indischen Subkontinent, sondern weiter nach Rom, bis in den Vatikan. Hier scheint das ultimative Übel seinen Ursprung zu haben, und so machen sich die drei erneut auf, das Böse auch in Italien zu bekämpfen.
Doch inmitten der Dramatik des Romans gibt es auch eine Nuance, die Leser und Leserinnen irritiert zurücklassen könnte: So lebendig, farbenfroh und sprachgewaltig Grangé Indien darstellt, so trocken und nüchtern erscheinen die römischen Schilderungen und das Aufeinandertreffen mit Merschs Vorstellung von Gerechtigkeit. Der Bruch in der Erzählweise weckt Verwunderung und lässt die Leser sich zu Recht fragen – wirklich, war das alles?
Trotzdem bleibt „Blutrotes Karma“ ein fesselnder Grangé-Thriller: mystisch, esoterisch, rau, düster und gewürzt mit einem zynischen Humor. Grangé beweist erneut seine meisterhafte Fähigkeit, zwischen Realität und Fantasie zu balancieren, und lässt seine Leser tief in eine schillernde, rätselhafte Welt eintauchen.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 29. Oktober 2024