Buchkritik -- Elisabeth Brandl -- Sternenhimmel

Umschlagfoto  -- Elisabeth Brandl  --  Sternenhimmel Zeitgeschichte als Thema in einem Jugendbuch zeichnet sich leider oftmals durch die Darstellung gesellschaftlicher Randgruppen aus und hat als "pädagogisches" Ziel, bürgerliche Werte als rückwärtsgewandt und spießig zu decouvrieren. Bunt, schrill und flippig sind, neben der aktuellen Vampirhype - nur einige der Attribute, die sich vornehmlich dadurch auszeichnen, "irgendwie gegen irgendetwas" zu sein. Wenn dann auch noch die verhängnisvollen zwölf Jahre des Nationalsozialismus zum Thema werden, dann kommt schnell der erhobene Zeigefinger, der meint, aus einer moralisch überlegenen Position, die einzig der zeitlichen Distanz geschuldet ist, per se im Besitz der Wahrheit zu sein.

Wie wohltuend anders ist da der Roman "Sternenhimmel" von Elisabeth Brandl. Lia und ihre Großmutter Anne haben ein enges Verhältnis zueinander. Es bleibt nicht aus, dass Lia beginnt, sich für die Lebensgeschichte ihrer Oma zu interessieren. Als fünfjährige wurde sie zusammen mit ihrer Mutter als Folge der Deutschen Niederlage aus ihrer Heimat vertrieben. Zusammen mit dem dreijährigen Paul, einem jüdischen Kind, dessen sich ihre Mutter angenommen hat, werden sie aus dem Sudetenland vertrieben. Lia erfährt aus den Erzählungen ihrer Großmutter, wie schwer es war, sich, nur mit dem Notwendigsten ausgestattet, in Süddeutschland eine neue Existenz aufzubauen.

Geschickt spielt die unter dem Pseudonym Elisabeth Brandl schreibende Autorin auf zwei zeitlichen Ebenen. Die Gegenwart, in der Lia zum ersten Mal Gefühle für einen Jungen entwickelt und die Vergangenheit, die, in der Person der Großmutter, ihre Nachwirkungen bis in das Leben von Lia und ihrem Bruder Alex hat. Nach und nach erzählt Anne der Enkelin ihre Geschichte, die diese so aus den Geschichtsbüchern oder aus dem Schulunterricht nicht kennt.

Lia erfährt, was es bedeutet, seine Heimat und einen geliebten Menschen zu verlieren. Paul, der für Anne immer wie ein Bruder war, wird nach dem Krieg von seinen Verwandten gefunden und von ihr getrennt. Erst viele Jahre später und unter vollkommen anderen Umständen sollten sie sich wiedersehen.

"Sternenhimmel" ist ein ruhig erzählter Jugendroman über die Traumata einer ganzen Generation. Vertreibung, Flucht oder noch Schlimmeres, verübt durch die Soldateska der Roten Armee, prägten die darunter leidenden Menschen. Leider haben die Stimmen der davon Betroffenen oftmals kein Gehör gefunden. Bei der "Bewältigung" der deutschen Vergangenheit war deren Geschichte bestenfalls unerwünscht. So kam es zu der bedauerlichen Tatsache, dass es eine ganze Generation gab, die nichts mehr erzählen wollte, weil jede ihrer Bemühungen um Darstellung individueller Schicksale als Revanchismus oder gar Entschuldigung der Verbrechen des Nationalsozialismus galt.

Dem gegenüber standen die Generationen der Kinder und Enkel, für die in den Schulbüchern und in den Medien bereits eine "korrekte" Meinung festgelegt wurde. Dadurch wurde leider die für das historische Bewusstsein eines Volkes zu wichtige generationenübergreifende Kommunikation unterbrochen, was zu einem fatalen Desinteresse an den Erlebnissen der "anderen" Zeitzeugen geführt hat.

Elisabeth Brandl zeigt in ihrem Roman einen anderen Weg der Vergangenheitsbewältigung, der weit entfernt ist von Revanchismus und Relativierung. Vielleicht ist erst jetzt die Zeit gekommen, in der sich die Enkel oder Urenkel für die Geschichte ihrer Vorfahren interessieren. Für den dringend notwendigen Dialog geben Lia und Anne ein gutes Beispiel. Man kann sich nur wünschen, dass einige Pädagogen den Mut aufbringen, dieses Buch im Unterricht zu behandeln. Doch das bleibt wahrscheinlich ein Desiderat.




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