Buchkritik -- Georg Brun -- Das Vermächtnis der Katharer

Umschlagfoto  -- Georg Brun  --  Das Vermächtnis der Katharer Der Lebensweg eines Menschen verläuft in den wenigsten Fällen gradlinig. Wenn dies doch einmal passiert, dann stellt sich die Frage, ob es überhaupt erstrebenswert ist, ein Leben ohne Brüche, ohne Veränderungen zu führen. In der Regel ist die Lebenslinie voll von Trauer, Hoffnung, Verzweiflung, Einsamkeit und Suchen nach dem eigenen, authentischen Weg. Liebe, Glück, Geborgenheit und Freude stellen sich oftmals als rein ephemere Begleiterscheinungen des Daseins heraus. Um so wichtiger ist es, wenn der Einzelne seine individuelle Existenz nach der Stimme seines Inneren, seinem unbewußten Drang zur Entfaltung seiner eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, aber auch seiner Menschlichkeit und Emotionsfähigkeit ausrichtet.

Georg Brun schildert in seinem Roman "Das Vermächtnis der Katharer" die Lebenswege von zwei Geschwistern im frühen 13. Jahrhundert. Der Papst führt in Frankreich einen Kreuzzug gegen die Katharer. Im Gegensatz zur katholischen Kirche führen die Katharer ein Leben ohne materiellen Überfluss. Für sie ist die Welt nicht die Schöpfung eines gütigen Gottes, sondern die Ausgeburt des Bösen. Vordergründig zieht die Kirche gegen diesen Ketzerglauben in den Kreuzzug. In Wirklichkeit ist es, wie immer, ausschließlich eine Frage der Macht, um die gekämpft wird.

Die Geschwister Isabelle und Sebastian werden in diese Kämpfe verstrickt. In jungen Jahren durch unterschiedliche Lebenswege getrennt, sehen sie sich als Erwachsene wieder. Ihre Leben waren voll von Brüchen, Verirrungen und Neuanfängen. Auf dem Montsegur, dem Ort der katharischen Niederlage treffen sie sich wieder. Isabelle die inzwischen eine "Erwählte" geworden ist, schreibt das Vermächtnis, ihr Vermächtnis, der Katharer nieder. Damit gerät sie sogar in den eigenen Reihen in eine Außenseiterposition, zu radikal verschieden, schon fast modern, ist ihre Sicht der Schöpfung auch von dem Glauben der Katharer. Sebastian zog als Knappe auf einen Kreuzzug, bekam aber Zweifel an der Richtigkeit seiner Handlungen und schloß sich auf Montsegur den Verteidigern der Katharer an.

Brun beschreibt in seinem Buch diese und andere Lebenswege. Über alldem steht die allgegenwärtige Frage nach dem richtigen Leben und der Erkenntnis Gottes. Isabelle schließt sich nach dem Tod ihres Mannes den Katharern an und wird eine "Erwählte". Die Entwicklung ihrer Sicht der Schöpfung und dem Wesen Gottes durchzieht den ganzen Roman.

Diese, in erster Linie, individuelle Entwicklung, das jahrelange reifen von Gedanken, das infragestellen von Glaubenspositionen, die inneren Kämpfe eines Menschen, dies beschreibt Brun mit ruhigem, atmosphärisch sehr dichtem Ezähltempo. Das Mittelalter tritt mit all seinen Facetten vor das Auge des Lesers. Liebe, Gewalt und Glauben bilden eine nicht zu trennende Einheit in diesem Buch.

Es scheitern letztendlich alle Figuren im Glaubenskampf, doch ihr Leben war erfüllt durch Liebe und Verständnis. Bezeichnenderweise wurde die einzige Person, die dazu nicht fähig war ein Inquisitor der Dominikaner. Brutal versucht er, den in seinen Augen reinen Glauben wieder einzuführen. Doch auch er scheitert.

Trotz allem individuellen Scheiterns ist der Roman durchtränkt von einem positiven Glauben an die Verstandes- und Glaubenskraft des Menschen. Das von Isabelle aufgeschriebene Vermächtnis der Katharer war im 13. Jahrhundert eine gefährliche Ketzerei. Sie war selber erstaunt als sie die Einfachheit der Antwort auf die Frage nach dem Wesen Gottes erkannte: "Gott ist sein Sein selbst". Alle leben bereits darin, egal ob Katholiken oder Katharer. Einzig das Streben nach Macht und Reichtum verblendet die Sinne.

Die Schöpfung, das gesamte Leben ist Gott. Gott ist das gesamte Leben und die Schöpfung. Man erinnere sich, noch im Jahr 1600 wurde Giordano Bruno wegen ähnlicher Anschauungen verbrannt.

Georg Brun ist wieder ein großer Roman gelungen.

Siehe auch:
Georg Brun, Fackeln des Teufels

Informationen über die Katharer:

Arno Borst: Die Katharer


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