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Buchkritik -- Andrew O`Hagan -- Caledonian Road

Umschlagfoto, Buchkritik, Andrew O`Hagan, Caledonian Road, InKulturA Als Campbell Flynn am Donnerstag, den 20.Mai 2021 sein Haus verlässt, ahnt er noch nicht, dass sein Leben, so wie er es kennt, bald in Trümmern liegen wird. Der Mann ist eine Edelfeder; in den Feuilletons gern gelesener Autor von Essays über Kunst und Mode. Ein Intellektueller, wie er im Buche steht und wegen seiner Eloquent ein beliebter Gast in Talkshows und Podcasts.

Der Mann verfügt über stupende Kenntnisse in der Kunstgeschichte und hat mit einem Buch über den geheimnisvollen holländischen Maler Vermeer seinen Platz im Olymp kunsthistorischer Schriftsteller gesichert.

Flynn stammt aus einer armen Glasgower Familie und verdankt seinen materiellen Aufstieg seiner Frau Elizabeth, die Tochter einer Gräfin. Durch diese Ehe gelangt er auch in höchste britische Gesellschaftskreise, was wiederum seinen Ruf als Zeitungskolumnist festigt.

Der Mann hat nur ein Problem und das ist finanzieller Natur, denn seine Einkünfte, obwohl mehr als ausreichend, stehen seinen Ausgaben in einem ungesunden Verhältnis gegenüber.

Zum Glück gibt es seinen alten Freund und Studienkollegen Sir William Byre, der sein Geld mit diversen Unternehmen, darunter Immobilien und Kaufhäuser, macht und dessen Portemonnaie immer für Flynn geöffnet ist, sprich, die Edelfeder stets aus der monetären Klemme hilft.

Doch leider liegt genau dort das sich zu einer Katastrophe entwickelnde Problem, ist doch der in den Adelsstand erhobene Kaufmann mit einigen dubiosen Geschäftspartnern bekannt und profitiert von deren illegalen Geschäfte.

Als Flynn den Studenten Milo, dessen verstorbene Mutter aus Äthiopien geflüchtet ist, kennenlernt, beginnt für ihn ein verhängnisvoller Strudel aus Selbstmitleid, manischer Introspektion, gesellschaftlich-politischen Schuldgefühlen und Altersangst.

Sein Versuch mit einem anonym geschriebenen Buch die Irrungen und Wirrungen männlicher Überlegenheitsgefühle zu konterkarieren, scheitert grandios an der Selbstverliebtheit des sich als scheinbarer Autor darstellenden Schauspielers.

Andrew OˋHagan hat mit "Caledonian Road" einen Roman geschrieben, der einen Abgesang auf eine britische Ära darstellt. Der Brexit ist vollzogen und der Ukrainekrieg taucht am politischen Horizont bereits auf.

Noch funktionieren alte und profitable Seilschaften zwischen dem Establishment, besonders dem Adligen, und kriminellen Organisationen. Der Handel mit Rauschgift und Menschen floriert, denn Drogen sind ein begehrter Stoff der Kunst- und Modeszene, die permanenten Nachschub verlangt. Der Handel mit Menschen – billige Arbeitskräfte –, denen eine bessere Zukunft in Großbritannien versprochen wurde, ist ebenfalls ein gewinnträchtiges Unterfangen, denn die kapitalistische Welt definiert sich über den Besitz von, wenn auch gefälschten Markenartikeln.

Auf fast achthundert Seiten verdichtet OˋHagan das Jahr des Abstiegs von Campbell Flynn und mit ihm, so wohl die Intention des Autors, die Ära des viel gescholtenen "alten weißen Mannes".

Das hört sich erst einmal gut an – zumindest für diejenigen, die des Zeitgeists hörig sind – doch in Wahrheit beschreibt der Autor nur eine Zäsur im politisch-kriminellen Netzwerk der Oberschicht, denn nach einer Zeit der Umstrukturierung und Neuordnung, werden sowohl der lukrative Markt des Drogen- und Menschenhandels, als auch politische Korruption erneut ihren Weg finden, um, wieder mithilfe willfähriger und geldgieriger Politiker, erneut exorbitante Gewinne zu generieren.

„Kaum ist ein Mensch auch nur ein klein wenig zivilisiert, schon wird er empfänglich für Korruption. Kaum ist er wohlhabend, schon will er Macht; kaum ist er angesehen, will er Sklaven. Diese Geschichte ist so alt wie die Zeit, nur die Ausstattung, das Dekor ändern sich.“ So lässt der Autor den Chefredakteur des "Commentator" gegenüber seiner investigativen Journalistin Tara Hastings es verlauten.

Insofern ist das Leiden des Campbell Flynn ein einsames, denn ob mit oder ohne die alte Garde der Gauner auf beiden Seiten des Gesetzes, der Mensch ist, wie er nun einmal ist.

Aus diesem Grund ist auch der scheinbare Neuanfang von Milo und seiner Freundin Gosia auf einer Insel, die ein Refugium für "Fahrende" und andere nomadisch lebende Völker sein soll, ein Widerspruch in sich.

Der Mensch ist nun einmal, wie er ist und deshalb liegt auch diesem Versuch eines "Neuen" eine kriminelle Handlung zugrunde, denn Milos Hackeraktivitäten mögen zwar eine edle Intention besitzen, doch Diebstahl bleibt eben Diebstahl. Robin Hood bleibt ein Mythos.

Fazit: Die Welt dreht sich weiter, das Schauspiel des menschlich, allzu menschlichen geht weiter, nur die Personen wechseln.

"Caledonian Road“ ist ein fulminantes Epos über eine Ära des Verfalls und die sich als trügerisch erweisende Hoffnung auf einen Neuanfang.




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Veröffentlicht am 10. September 2024