Buchkritik -- Martin Mittelmeier -- DADA: Eine Jahrhundertgeschichte

Umschlagfoto, Martin Mittelmeier, DADA: Eine Jahrhundertgeschichte, InKulturA Mitten am Rand des Kollaps. Dada, eine im April 1916 im Zürcher "Cabaret Voltaire" ausgerufene Anti-Kunstrichtung feiert diesjährig ihren 100. Geburtstag. Dabei war der Dadaismus bereits kurz nach dessen Proklamation wieder Geschichte, denn Nonsens als programmatische Aussage überfordert auf Dauer.

Interessant ist die derzeitige Hype um 100 Jahre Dada auf alle Fälle, beweist sie doch, dass die Welt von 1916 im Begriff ist, sich im Jahr 2016 auf dramatische Weise zu wiederholen. Warum Dada? Warum die generelle Infragestellung aller Konzepte nicht nur in Kunst und Literatur, sondern auch im gesamtgesllschaftlichen Kontext?

Anfang des 20. Jahrhunderts befand sich die Welt in einem dramatischen Umbruch. Unsicherheit und Ängste angesichts des rapiden Wandels der Gesellschaft, der Herausforderungen einer Politik, die den Ersten Weltkriegs ausgelöst hat und die Fortschritte in Wissenschaft und Technik suchten Ventile und fanden sie (nicht nur) in esoterischen Zirkeln, die von der Erneuerung des Menschen träumten und doch nur letzte Rückzugsgefechte eines saturierten, aber orientierungslosen Bürgertums waren.

Martin Mittelmeier lässt in seinem Buch "DADA: Eine Jahrhundertgeschichte" die Darsteller noch einmal Revue passieren. Hugo Ball, Emmy Hennings, Richard Huelsenbeck, Hans Arp, Marcel Janco und Tristan Tzara erscheinen auf der flüchtigen Bühne des Dadaismus und sind, wie Hugo Ball und Emmy Hennings, die sich schon 1917 aus der Dada-Bewegung wieder zurückziehen, bald wieder verschwunden. Die Totalablehnung des Etablierten überfordert schnell den kurzlebigen Genius der Dada-Bewegung.

Nichtsdestotrotz versteht es Mittelmeier ausgezeichnet, dieses Intermezzo des dargebotenen Anti-Agierens augenzwinkernd zu schildern und der Leser reibt sich am Ende des Buches verwundert die Augen und überlegt, ob der Dadaismus aktuell vielleicht seine Wiederauferstehung feiert, denn angesichts des herrschenden Wahnsinns in Politik, Wissenschaft und Kultur bleibt dem wieder einmal überforderten Individuum anscheinend nur der Rückzug in eine sprachlose infantile Opposition.

Die digitalen Plattformen der "sozialen Medien", auf denen der moderne, aber immer noch höchst verunsicherte Mensch munter, doch leider belanglos daherplappert, sind die neuen Formen des angewandten Dadaismus.




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Veröffentlicht am 14. Januar 2016