Buchkritik -- Jürgen Brauerhoch -- Das Fossil

Umschlagfoto, Buchkritik, Jürgen Brauerhoch, Das Fossil, InKulturA Wer soll sowas lesen? Diese Frage stellt der Klappentext und liefert auch gleich die Antwort: "… die Jungen weniger" - und liegt damit verdammt richtig. "Das Fossil", so der Titel der Erzählung von Jürgen Brauerhoch, ist fast der letzte seiner Art. Auf einem morschen Pfahlbau am Ufer des Bodensees lebend, stemmt es sich mit aller Macht gegen den digitalisierten Zeitgeist, der, wie der Autor es schreibt, in kommunikativen Verkürzungen, wie ES-EM-ESSENS und I-MEELS sein Unwesen treibt.

Doch das Fossil ist mitnichten ein rückwärtsgewandter Stylit, der mit Wehmut und falschem Pathos in der Vergangenheit den Sinnbezug seiner Existenz festschreibt, sondern ein Mann, der auf ein erfolgreiches und erfülltes Leben zurückblicken kann. Durch Zufall zum Protagonisten in einer von Grünen Politikern initiierten Kampagne für das Krötenglück avanciert, erbittet er sich im Gegenzug vom CDU-Landrat eine Reise nach Rom.

Zu seiner eigenen Überraschung stellt sich heraus, dass das Fossil beileibe kein Mann des Gestern ist, sondern ein Pensionär, der sich sowohl Blick und Neugier auf das bewahrt hat, was noch kommt. Und das ist eine ganze Menge.

Mit viel hintergründigem Witz, Charme und etwas Melancholie – was das weibliche Geschlecht betrifft – begibt er sich auf eine Reise, deren Ziele mehr oder weniger spontan, immer jedoch an Aufenthaltsorten von seinesgleichen ausgerichtet ist. Rom, Wien, Budapest und letztendlich die USA werden Ziel seiner Exkursion im letzten Drittel.

Der Zeitgeist, stellt das sympathische Fossil fest, macht außerhalb Deutschlands so manchen Halt vor diversen nationalen Unterschieden. Stichwort Schlaf- und Speisewagen. Was bei der Deutschen Bahn längst als veraltet und unzeitgemäß gilt, ist woanders immer noch ein Begriff des Komforts und der Kundenfreundlichkeit.

Der Leser, zumindest der im etwa gleichen Alter des Fossils, stellt bei der Lektüre dieser Erzählung schnell fest, dass er nicht allein ist mit seiner Kritik am herrschenden Minimalismus. Nicht alles war früher – man, was haben wir diesen Begriff gehasst, den unsere Eltern gern als Mittel der geistigen Disziplinierung benutzten – besser, doch zumindest anders und nicht immer schlechter.

Meine Herren, es gibt noch viel zu erleben. Packen wir es an!




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Veröffentlicht am 21. Januar 2017