Parallelen zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu ziehen, ist für einen Historiker ein gewagtes Unterfangen. In einer Zeit, die schier trunken ist, vom Gedanken an ihre eigene Fortschrittlichkeit und die vom globalen Beglückungscharakter ihrer propagierten Werte überzeugt ist, dürfte es schwer sein, historische Analogien aufzustellen, die, geschuldet den historischen Fakten, die Gegenwart, genauer gesagt, die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Probleme, zu deuten und sie in einen größeren historisch-analytischen Kontext zu stellen.
Spätestens, wenn sich diese Untersuchung mit einer Kritik an der EU, an ihren Institutionen und politischen Zielen und Werten verbindet, darf man getrost um die weitere berufliche Karriere des Autors fürchten. David Engels hat mit "Auf dem Weg ins Imperium: Die Krise der Europäischen Union und der Untergang der Römischen Republik" eine Fundamentalkritik an eben dieser EU veröffentlicht, die mit dem Aufzeigen historischer Parallelen den wahrscheinlichen Weg der europäischen Entwicklung zeigen soll.
Der Autor, deutsch-belgischer Historiker, unternimmt das Wagnis, ein, durch die moderne Geschichtsphilosophie verworfenes, organisches Geschichtsverständnis zu reanimieren, und hat mit Oswald Spengler - trotz dessen vieler methodischer Fehler - und Arnold Toynbee zwei profunde Vorgänger.
Der Untergang der Römischen Republik und die aktuelle Krise der EU haben, so der Autor, viele Parallelen. Genau wie gut 2000 Jahre zuvor, hat die EU mit zahlreichen Problemen zu kämpfen, von denen das Demokratiedefizit ihrer politischen Institutionen nur eine Facette darstellt.
Der Bevölkerungsrückgang und der dadurch entstehende Immigrationsdruck aus islamischen Ländern, der zunehmende Materialismus durch Identitätsverlust und Globalisierung, das Verleugnen eigener Werte und zunehmender religiöser Fundamentalismus seitens eines militant auftretenden Islam, Technokratie und Politikverdrossenheit der europäischen Bürger und, nicht zuletzt, der Verlust von Freiheit und Demokratie zugunsten einer politisch verordneten Gleichheit, sprechen eine deutliche Sprache.
David Engels, der durchaus zugibt, dass die EU nicht mit der Römischen Republik verglichen werden kann, zeigt erstaunliche Parallelen, die er, überaus geschickt, mit Zitaten römischer Bürger belegt.
Nun ist sich auch der Autor darüber im Klaren, dass es problematisch ist, historische Analogien zu ziehen und, in der Gegenwart, daraus politische Modelle zu entwickeln. Aus diesem Grund ist sein Buch auch viel eher eine Generalabrechung mit dem Universalitätsanspruch sog. "europäischer Werte", denen, propagiert durch eine zunehmend technokratischer werdende, sich vom politischen Willen der Bürger entfernende Elite, globale Bedeutung verliehen werden soll.
Dabei, und das ist die eigentliche Aussage des Buches, ist Europa längst zum Opfer eines selbst verschuldeten Identitätsverlusts geworden. Die Familie, die Keimzelle jeder Gesellschaft steht unter dem Beschuss der politisch-medialen "Elite", die neue Formen des Zusammenlebens erfindet, um ihre gegenderte Ideologie realisieren zu können.
Die Bürger mutieren zu materialistischen Einzelgängern, denen, politisch motiviert, der Gedanke an nationale Solidarität und Loyalität dem jeweils Eigenen gegenüber aberzogen werden soll und anstelle dessen die Lobpreisung des Fremden und die Aufgabe der eigenen kulturellen Identität steht.
Droht also, wie Engels es durchaus aus rettende Möglichkeit beschreibt, ein Abgleiten in ein imperiales europäisches Zeitalter, das konservativ und werterhaltend ist? Betrachtet man die aktuellen Bestrebungen der EU-Ochlokraten, dann muss man feststellen, dass deren Ziel beileibe nicht im Wertkonservatismus und souveräner Identitätsfeststellung liegt, sondern, im Gegenteil, die bestrebt sind, die Identität der europäischen Völker zugunsten eines multiethnischen Konglomerats zu zerstören.
Die EU als Schmelztiegel eines immer mehr sich islamisierenden Einwanderungskontinents wird beileibe nicht das von David Engels fast herbeigesehnte Imperium darstellen, dessen wertkonservative und technokratische Elite den Völkern eine neue Identität verleiht, sondern der Kontinent wird, spätestens dann, wenn der überbordende Sozialstaat aufgrund seiner Zahlungsunfähigkeit die von ihm an sich gerissenen Funktionen nicht mehr bezahlen kann, in einen Zustand fallen, in dem wieder das Recht des Stärkeren herrscht. Und das, da machen wir uns nichts vor, wird nicht der autochthone Europäer sein.
David Engels hat durchaus recht, wenn er schreibt, "Wahrhaft Europäer aber kann keiner werden, der nicht als Europäer geboren wurde oder die europäische Kultur in langen Jahrzehnten kennen- und lieben gelernt hat und somit ihr Wesen gänzlich und nicht nur in Auswahl, sondern mit allen Stärken und Schwächen, im Guten wie im Bösen, in sich aufgenommen hat." Doch genau das ist es ja, was die herrschende Elite in Brüssel vehement bestreitet und gar nicht mehr klammheimlich, sondern inzwischen programmatisch versucht, zu verändern. Die europäische Identität wird in Brüssel - und durch den fehlenden politischen Willen der Nationalparlamente - verraten. Europa befindet sich längst auf dem Weg ins Imperium, doch ganz anders, als David Engels es sich vorstellt.
Der Autor hat mit jedem seiner Kritikpunkte an der aktuellen Entwicklung Europas recht und gemäß seiner historisch-analogen Argumentation ist auch der Übergang zu einem Imperium nur die Verlangsamung des unweigerlichen europäischen Niedergangs. Der lässt sich mit dem derzeit herrschenden politischen Personal jedenfalls nicht aufhalten. Von innen ist, und das versäumt Engels zu schreiben, der Zerfall nicht mehr zu stoppen.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 6. Dezember 2014