Buchkritik -- Alfred de Zayas -- Völkermord als Staatsgeheimnis

Umschlagfoto  -- Die Durchführung des Völkermordes unter dem Nationalsozialismus ist eine schwere Last der deutschen Geschichte. Dieses Verbrechen ist seit den Nürnberger Prozessen bestens dokumentiert. Die wichtigste Frage jedoch, ob das damalige deutsche Volk von diesem Völkermord gewusst hat, bedarf noch einer ausdrücklichen Klärung.

Spätestens seit den Thesen von Daniel Jonah Goldhagen, die eine Mittäterschaft des gesamten Volkes unterstellen, ist es ein wissenschaftliches Desiderat, das angebliche oder unterstellte Wissen der Deutschen historisch zu untersuchen. Der US-amerikanische Historiker Alfred de Zayas legt mit seinem Buch Völkermord als Staatsgeheimnis eine quellenintensive Untersuchung über das Wissen, besser gesagt, das Nichtwissen des "Alltagsdeutschen" im Dritten Reich vor.

Es geht um nichts weniger, als um den Vorwurf einer Kollektivschuld der Deutschen an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Diesen zu entkräften, ist das Anliegen des Autors. Seine Tätigkeiten, er leitete die "Arbeitsgruppe Kriegsvölkerrechte" und war Völkerrechtsprofessor in Chicago und Vancouver, weisen ihn als einen der besten Kenner dieser Materie aus.

Bereits seine einleitenden Bemerkungen zur zeitgeschichtlichen Forschung und deren Mängeln machen deutlich, wie ideologiebefrachtet und mit Ressentiments behaftet große Teile der bisherigen Veröffentlichungen gewesen sind. Dazu kommt erschwerend ein erschreckendes Maß an Projektion der heutigen Verhältnisse auf die politische Realität, mit der die damaligen Deutschen leben mussten. Zu Recht betont de Zayas, die Unwissenschaftlichkeit dieser Argumentationen.

Der nationalsozialistischen Diktatur war es spätestens seit den Reaktionen der Bürger auf die Novemberpogrome 1938 klar, dass die judenfeindliche Politik des Regimes in großen Teilen der Bevölkerung keine Zustimmung erfuhr. Im Gegenteil, die ausgeübte Gewalt wurde verurteilt.

Die "Endlösung der Judenfrage" wurde dann auch folgerichtig zu einer Geheimsache erklärt. Der "Führerbefehl Nr.1", der von Hitler am 11. Januar 1940 erlassen wurde, zeigte den zukünftigen Kurs der Geheimhaltungspolitik der Regimes. Bereits die Akten der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse belegen eindeutig, dass die NS-Regierung konsequent daran ging, die Wahrheit gegenüber der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit zu verbergen.

De Zayas führt zahlreiche Belege an, die zeigen, dass den meisten Angeklagten der Nürnberger Prozesse keine Wissen um die Vernichtung der Juden nachgewiesen werden konnte. In vielen Fällen, so beim Luftmarschall Erhard Milch, wurde erst gar nicht versucht, den Angeklagten mit dem Völkermord in Verbindung zu bringen.

War es schon für hochrangige Wehrmachtsangehörige und führende Beamte unmöglich, von der Vernichtung der Juden Kenntnisse zu besitzen, so gestaltete sich das von Historikern oft unterstellte Wissen von normalen Soldaten oder einfachen Bürgern um den Holocaust als historisch nicht belegbare Vermutung. Hier kommt die vom Autor bereits angesprochene unredliche und unwissenschaftliche Arbeitsweise einiger Historiker erneut zur Sprache. Die aus einer unbewiesenen, weil nicht vorhandenen Kenntnis der Bürger von den Verbrechen des Regimes konstruierte Kollektivschuld, ist ausschließlich die ideologische Fixierung auf ein unzutreffendes, aber vielen interessierten Kreisen nützliches Klischee.

Alfred de Zayas hat für den an historischen Fakten Interessierten mit seinem Buch einen weiteren Beitrag zur Ablehnung einer Kollektivschuldthese geleistet. Ob der allerdings von den Verfechtern derselben wahrgenommen wird, darf bezweifelt werden. Zu verführerisch, zu verlockend sind die daraus ableitbaren - falschen - Argumentationen und Forderungen.




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