Buchkritik -- Michael Köhlmeier -- Die Abenteuer des Joel Spazierer

Umschlagfoto, Die Abenteuer des Joel Spazierer, InKulturA Alles kann aus uns werden! Ist das eine positive, stets das Beste in uns anstrebende Verheißung oder doch eher eine Warnung vor dem, was die Anderen in uns sehen und dem wir, teils aus Schwäche, teils aus nüchternem Kalkül, nur all zu gern entsprechen?

Der österreichische Autor Michael Köhlmeier hat in seinem, wie er ihn selber nennt, Schelmenroman "Die Abenteuer des Joel Spazierer" eine Figur beschrieben, die genau diesen Versuch unternimmt, seine Zeitgenossen, aber auch sich selber hinters Licht zu führen.

Geboren in einer Familie, die es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, die sich akademische Titel anmaßt, die ihr nicht zustehen, die sich jedoch während ihrer Flucht vor den ungarischen Kommunisten der 1950er Jahre im Zufluchtsland Österreich als äußerst hilfreich erweisen, wird, wie er sich erst spät im Leben nennen wird, Joel Spazierer bereits früh mit dem Erfolg des mehrdeutigen Scheins konfrontiert.

Sein Leben ist eine Odyssee durch das Labyrinth dessen, was seine Mitmenschen von ihm erwarten, genauer gesagt, was sie in ihm sehen wollen. So wechselt er spielerisch seine Identitäten. Aus dem Budapester Jungen András Fülöp wird András Srámek, wird Andres Philip, wird Robert Rosenberger, wird Dr. Ernst-Thälmann Koch und ganz zum Schluß eben Joel Spazierer.

Der eigenwillige Titelheld Köhlmeiers ist eine Gestalt, die unfähig zu moralischem Handeln erscheint. Er betrügt skrupellos, mordet ohne Gewissensbisse und lügt sich in die Herzen und Leben seiner Mitmenschen. Gleichzeitig ist er jedoch auch ein sich aufopfernder Unterstützer beim Drogenentzug und ein liebevoller Familienvater.

Joel Spazierer erkennt früh die Macht der Manipulation. Er lernt schmerzhaft, dass die Natur des Menschen darin besteht, ein emotionales Mängelwesen zu sein. Die Gesellschaft ist ein Konstrukt aus Verallgemeinerungen und stillschweigend getroffenen Vorwegnahmen dessen, wie die Menschen sich in den Augen ihres Gegenübers gespiegelt sehen wollen.

Darauf versteht sich Spazierer bestens und der Leser kann ihm, dem inzwischen über 60jährigen, bei dessen Rückblick auf sein Leben folgen. Nicht immer chronologisch erzählt Köhlmeier die Geschichte seines Titelhelden. Manche gegenwärtigen Erlebnisse werden erst im Rahmen einer Reminiszenz des Erzählers deutlich.

Gutaussehend, charmant und eloquent, darüber hinaus mit einer überdurchschnittlicher Intelligenz ausgestattet, agiert Spazierer wie ein Wanderer zwischen den Welten von Moral und Dekadenz. Ohne Skrupel lügt, stiehlt und mordet er sich durch Belgien, Kuba, Mexiko, Italien, Paris, Moskau, bis er auf der vorletzten Station in seinem Leben in der ehemaligen DDR um politisches Asyl bittet und dort, er hat inzwischen den Namen Ernst-Thälmann Koch angenommen, fast ein nationaler Held wird.

Nirgendwo im Roman wird der Widersinn der bürgerlichen Verlogenheit, "dass der Schein die Realität, das Sein aber Fiktion sei", den Spazierer so gnadenlos auszunutzen versteht, deutlicher, als während seines Aufenthaltes in der DDR. Ausgerechnet im Sozialismus avanciert der Titelheld aufgrund sinnlos dahergeplapperter theologischer Passagen zum Starprofessor der DDR. Hier schlägt die den Roman durchziehende feine Ironie Köhlmeiers um in gnadenlosen Zynismus.

Ist Joel Spazierer ein böser Mensch? Diese Frage muss sich der Leser selber beantworten. Michael Köhlmeier jedenfalls macht die Antwort durch die vielen philosophischen und theologischen Exkurse, in denen er seinen Helden über Gott und die Welt, über das Wechselspiel zwischen Lüge und Wahrheit und über die Macht von Schein und Sein nachdenken lässt, nicht eben einfacher.




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