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Buchkritik -- Will Dean -- Die Kammer

Umschlagfoto, Buchkritik, Will Dean, Die Kammer, InKulturA Sechs Sättigungstaucher – die absolute Elite eines Berufsstandes, der zu den gefährlichsten der Welt zählt – sollen sich gemäß einem minutiös geplanten Arbeitsablauf einen ganzen Monat lang in einer isolierten Druckkammer aufhalten. In festgelegten, täglich rotierenden Schichten führen sie hochkomplexe Reparaturarbeiten an einer tief in der Nordsee gelegenen Ölförderanlage durch – und das, ohne mehrfachen Kompressions- und Dekompressionsphasen ausgesetzt zu werden.

Solche Sättigungstauchgänge sind nichts für schwache Nerven. Sie setzen psychische und physische Höchstleistungen voraus und sind allein den Besten der Besten vorbehalten. Jeder dieser Elitetaucher hat seine außergewöhnlichen Fähigkeiten durch jahrelange, unermüdliche Arbeit, rigoroses Training und den Besuch kostenintensiver Lehrgänge eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Besonders hervorsticht dabei Ellen – eine der wenigen Frauen, die es an die Spitze dieser riskanten Branche geschafft haben –, deren beruflicher Erfolg mit enormen persönlichen Opfern verbunden ist.

Alle Beteiligten laufen ein erhebliches gesundheitliches Risiko: Die dauerhaften Belastungen durch die Sättigungsbedingungen und die ständige Gefahr von Unfällen, hervorgerufen durch die enormen Beanspruchungen der hochsensiblen Ausrüstung, stellen eine ständige Bedrohung dar. Rost und das unbarmherzige Salzwasser, die die Materialien unaufhörlich angreifen, verschärfen die prekäre Situation zusätzlich. Gleichzeitig zerrt der erzwungene, monatelange Abschied von Familie und Freunden an den Nerven – ein Preis, den nicht nur die Männer, sondern auch die wenigen Frauen in diesem Beruf regelmäßig zu zahlen haben. Ellens persönliche Familiengeschichte entfaltet sich dabei schrittweise und offenbart eine tragische Dimension, die den Leser tief berührt.

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in dieser Branche sind ebenso außergewöhnlich wie herausfordernd: Jeder Taucher agiert als selbstständiger Auftragnehmer in einem engen Netzwerk, das von Groll, Streitigkeiten und Konkurrenzdenken geprägt ist. Die minimale Unterbringung – „drei warme Mahlzeiten und ein Feldbett“ – verleiht dem Arbeitsumfeld eine fast militärische Disziplin, die nicht selten an die Strenge eines Gefängnisses erinnert. Trotz des vergleichsweise hohen Einkommens treibt diese Lebensweise die Taucher dazu, immer wieder neue Aufträge anzunehmen, um den finanziellen Zwängen und der ständigen Ungewissheit des Alltags zu entkommen.

Doch als sich die Ereignisse zuspitzen – ein mysteriöser Todesfall ereignet sich, dem im Laufe der Zeit weitere folgen werden – geraten Ellen und ihre Kameraden in der Druckkammer in einen wahren Albtraum. Eingeschlossen in den beengten Räumen, bleiben sie gezwungen zu verweilen, bis eine fünftägige Dekompressionsphase beendet ist, was das ohnehin schon angespannte Szenario ins Extreme treibt.

Will Dean versteht es meisterhaft, diese dramatischen Stunden durch detailreiche Einblicke in Ellens Leben, lebhafte Dialoge zwischen den Tauchern und eine Fülle von Anekdoten über langjährige Freundschaften und erbitterte Rivalitäten zu vermitteln. Gleichzeitig bietet „Die Kammer“ einen nahezu dokumentarischen Einblick in die verborgene Welt und die tödlichen Gefahren des Sättigungstauchens – eine Thematik, die den Leser mit einer Mischung aus Faszination und Beklommenheit in ihren Bann zieht.

Die Erzählung präsentiert sich wie ein nahezu unlösbares Rätsel in einem verschlossenen Raum. Die Taucher stehen gänzlich auf sich allein gestellt, müssen das Mysterium um die vorliegenden Katastrophen enträtseln und zugleich alles daran setzen, sich vor weiteren physischen und psychischen Schäden zu schützen. Die bedrückenden Bedingungen – langgezogene, einsame Stunden, intensive Isolation und unaufhörlicher Druck – nähren ein Klima der Paranoia, selbst wenn äußerlich alles noch in geordneten Bahnen verläuft.

Mit raffinierten Zeitsprüngen, offenen Andeutungen darüber, was jenseits der Druckkammer vor sich geht, und dem ständigen Gefühl, dass wesentliche Informationen absichtlich zurückgehalten werden, entwickelt die Geschichte eine beinahe unheimliche, klaustrophobische Atmosphäre. Diese wird zusätzlich durch fesselnde Schilderungen von Unterwasserabenteuern und verheerenden Katastrophen untermalt, während die eindringliche Darstellung der beinahe uterusähnlichen, bedrückenden Erfahrung des Menschen in den Tiefen des Meeres dem Leser Gänsehaut bereitet.

Will Dean erschafft glaubwürdige und vielschichtige Charaktere, deren komplexe persönliche Schicksale, berufliche Rivalitäten und existenzielle Ängste den Leser in einen Strudel aus Spannung und Mitgefühl ziehen. Das offengelegte Ende des Thrillers lässt dabei reichlich Raum für Interpretationen und spekulative Überlegungen – ein gelungenes Spiel mit den Erwartungen des Lesepublikums.

„Die Kammer“ ist somit nicht nur ein spannungsgeladener Thriller, sondern auch eine tiefgründige Studie über die extremen Herausforderungen menschlicher Belastungsgrenzen. Absolute Leseempfehlung für alle, die sich von einer fesselnden, realitätsnahen Darstellung einer Welt jenseits des Alltäglichen begeistern lassen möchten.




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Veröffentlicht am 13. März 2025