Buchkritik -- Michael Kreisel -- Die Katze auf dem Dach

Umschlagfoto, Michael Kreisel, Die Katze auf dem Dach, Haiku-Gedichte, InKulturA Das klassische Haiku ist ein Gedicht, das aus drei Zeilen mit jeweils 5, 7 und 5 Silben besteht. Diese Gedichte sind, wieder in der klassisch strengen Form, normalerweise Beobachtungen der Naturwelt und insbesondere der Jahreszeiten.

Auch wenn viele Literaturkenner wissen, dass Haikus primär Gedichte über die Natur sind, stellen sie möglicherweise keine Verbindung zum rein beschreibenden, nicht-analytischen und nicht-wertenden Ansatz oder zur Kunstform her. Dabei gibt es eine eindeutige Verbindung zwischen Haiku und der Zen-Denkweise. Die Tatsache, dass die Gedichte sinnliche Beschreibungen sind, bedeutet nicht, dass sie Emotionen hervorrufen sollten; im Gegenteil, sie sollten auf einer ursprünglichen Ebene evokativ sein.

Der vorliegende Band mit Haiku-Gedichten von Michael Kreisel bricht mit der Formstrenge japanischer Haikus, jedoch rekurrieren die einzelnen 3-Zeiler immer wieder auf Emotionen, die, sprechen wir ruhig vom lyrischen Ich, ein Mensch beim Betrachten auch anscheinend banaler Alltagsdinge erfährt und die mitunter der kurzen, blitzartigen Erfahrung ähnelt, die der eben erwähnten Zen-Ebene entspricht.

Ob es der Duft von Körperlotion ist, der vom Balkon der Nachbarin herüberzieht, zwei Katzen, die im Garten einer nur für sie gedachten Geschichte des Windes zuhören oder die Trauer über das unbeschriebene weiße Blatt eines Dichters, immer ist es der Moment, der das hinter allem stehende, das weniger offensichtliche des Banalen zutage fördert, Einhalt gebietet und, wie in dem 3-Zeiler über ein wohl endgültige Abschiednehmen, tiefe Betroffenheit auslöst.

Die Abkehr von der traditionellen Form bedeutet eine Erweiterung des Horizonts der Erfahrungen, die auch und gerade im alltäglichen Leben gemacht werden können und die dafür sorgen, dass der Beobachter eine Sensibilisierung erfährt, die vielleicht neue Seh- und Sichtweisen auf das Alltägliche ermöglichen.

„Die Katze auf dem Dach“ ist eine Sammlung von individuellen Einbrüchen des Besonderen, die es immer wieder zu lesen lohnt.




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Veröffentlicht am 14. August 2022

Rezension von Petra Krahmann