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Buchkritik -- Raffaella Romagnolo -- Die Libanonzeder

Umschlagfoto, Buchkritik, Raffaella Romagnolo, Die Libanonzeder, InKulturA Die Libanonzeder zeichnet sich durch ihre imposante Erscheinung aus. Sie kann eine Höhe von 25 bis 40 Metern erreichen und einen Stammumfang von bis zu 2,5 Metern entwickeln. Junge Bäume haben eine konische Krone, die sich mit zunehmendem Alter in eine breitere, flachere und schirmförmige Krone verwandelt. Die Äste wachsen oft horizontal und können eine große Spannweite erreichen, was dem Baum ein prächtiges Aussehen verleiht.

Die immergrünen Nadeln der Libanonzeder sind dunkelgrün bis blaugrün und sitzen in dichten Büscheln an den Kurztrieben. Sie sind etwa 10 bis 25 Millimeter lang und weisen eine steife, spitze Form auf. Die Nadeln bleiben mehrere Jahre am Baum, bevor sie abfallen, was dem Baum ein konstant dichtes und volles Laub verleiht.

Im Judentum und Christentum spielt die Libanonzeder eine bedeutende Rolle. In der Bibel wird sie mehrfach erwähnt, insbesondere im Alten Testament. Sie steht dort als Symbol für Stärke, Stabilität und Majestät. Im Buch der Psalmen (Psalm 92,13) heißt es: „Der Gerechte wird sprossen wie die Palme, wie eine Zeder auf dem Libanon wird er emporwachsen.“ Diese Metapher verdeutlicht die Standhaftigkeit und den Glauben des Gerechten. Zudem ließ König Salomo den Tempel in Jerusalem aus Zedernholz erbauen, was die Libanonzeder zu einem Symbol für Heiligkeit und göttliche Präsenz machte (1. Könige 6,9-10).

Auch im Islam wird die Libanonzeder erwähnt. Der Koran betont die Schönheit und den Reichtum des Libanon, was die Bedeutung dieses Baumes als Symbol für Gottes Schöpfung und die Schönheit der Natur unterstreicht.

Philosophisch betrachtet, steht die Libanonzeder als Symbol für Unvergänglichkeit und Erhabenheit. In der antiken Philosophie und Dichtung wurde sie oft als Sinnbild für das Ewige und Erhabene angesehen. Der Baum, der bis zu 1000 Jahre alt werden kann, repräsentiert Unsterblichkeit und Beständigkeit. Philosophen und Dichter wie Hesiod und Ovid erwähnten die Zeder in ihren Werken, um Konzepte der Dauerhaftigkeit und des göttlichen Einflusses darzustellen.

Die Libanonzeder dient auch als Metapher für moralische und spirituelle Tugenden. Ihre Höhe und ihr starkes Holz symbolisieren innere Stärke und moralische Integrität. Diese Assoziationen finden sich in philosophischen und literarischen Texten, die den Baum als Vorbild für menschliches Verhalten und Charaktereigenschaften darstellen.

Um diesen mit religiös-philosophischen Konnotationen aufgeladenen Baum drehen sich die vier Kurzgeschichten aus unterschiedlichen Epochen in Raffaela Romagnolos Buch.

In der ersten Geschichte flieht die 15-jährige Hotti vor den Zwängen ihrer archaischen Familie, um ihrem Geliebten über das Gebirge und durch den großen Zedernwald ans Meer zu folgen. Dieses Meer kennt sie nur aus den Erzählungen des Mannes, weiß also nicht, wie es aussieht und so wird sie nach langer Wanderung das Opfer eines, wenn auch beeindruckenden Irrtums.

Die zweite Erzählung, die 1787 spielt, beschreibt, wie die Pflanzung einer Libanonzeder einen Wendepunkt im Leben von Giorgio Santi markiert, der gegen seinen Willen zum Präfekten des Botanischen Gartens von Pisa ernannt wurde. Er war zugleich Professor für Naturgeschichte und Mineralogie an der Universität Pisa und trug wesentlich zur Entwicklung dieser Disziplinen in Italien bei.

In der dritten Kurzgeschichte, die 1856 spielt, will eine junge Gräfin, die tief vom Tod ihres Mannes getroffen ist, die von ihm anlässlich der Hochzeit gepflanzte Libanonzeder fällen, bevor sie endgültig das Weingut im Piemont verlässt. In einer stürmischen Nacht greift sie zur Axt, wird Zeugin eines Blitzeinschlags in diesen Baum, lässt ihr bisheriges Leben Revue passieren und trifft eine Entscheidung.

Die letzte Geschichte spielt in der Zukunft nach einer großen, nicht näher definierten Katastrophe. Ein ominöses Oberkommando trifft Entscheidungen, die weit in die Privatsphäre der Überlebenden eingreifen. Im Rahmen eines Forschungsprogramms zur Wiederbesiedlung entdeckt Kommandant Lars Nyman während eines Kontrollflugs im nördlichen Libanon etwas, was es eigentlich auf der Erde nicht mehr geben dürfte.

Damit kehren wir zum Anfang, zum Wadi Qadisha zurück. Der Zyklus des Werdens und Vergehens, Raffaela Romagnolo beschreibt ihn in ihren poetisch anmutenden Zwischenkapiteln, beginnt, so hoffen wir, aufs Neue.




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Veröffentlicht am 22. Mai 2024