Da ist einer, der schwer am Pensionärsschicksal zu leiden hat: Er stört den gewohnten Tagesablauf von Frau Isolde und, man wohnt unter einem Dach, der Schwiegermutter. Was besonders jetzt, beim anstehenden Umbau des Hauses vonseiten der Weiblichkeit nicht hinzunehmen ist. Kurzerhand meldet ihn seine Gattin, die in dieser Einrichtung bereits einige, die Kreativität unzufriedener Damen aus den Kreisen gehobener Bürgerlichkeit fördernde Kurse belegt hat, ebenda zu einem Workshop für autobiografisches Schreiben an.
Der arme Heinrich, ist man versucht zu sagen, sitzt nun also mit zwei Damen, ein vierter Teilnehmer hat es nur auf die schriftliche Bestätigung seiner Anwesenheit abgesehen, da vor der Tür eine junge weibliche Versuchung bereits auf ihn wartet, und dem Kursleiter in einem Raum und soll, gemäß dem vorgegebenen Thema, seine Lebensgeschichte zu Papier bringen.
Die verbliebenen Teilnehmerinnen, Hermynia, eine alte Bäuerin und eine Oberstudienrätin, die als Frau Professor Rottmann angesprochen werden möchte und die „verbittert, wie Isolde aussieht“, so schießt es kurz durch den Kopf von Heinrich, heben dessen Stimmung nur marginal. Nicht zu vergessen, Georg Schwarzbach, Kursleiter, mäßig erfolgreicher Schriftsteller, pekuniär also mehr schlecht als recht ausgestattet und bereits in Vorfreude auf seine, im Honorar inkludierten Mahlzeiten.
Was wie eine launige Geschichte über die gewiss sehr spezielle Klientel Sinn suchender Letztdrittler beginnt, entwickelt sich schnell zu einer bitterbösen Satire über den fatal-verzweifelten Versuch eines Mannes, die Sprossen der gesellschaftlichen Leiter emporzuklettern.
Heinrich, seinen ersten Vornamen – Hans – verweigert die Schwiegermutter, denn immerhin könnte es zu Verwechslungen kommen, da bereits der Deutsche Schäferhund der Familie diesen Namen besetzt hält, ist ein Kind des Krieges. Ein Betriebsunfall, der sich, als der Vater aus russischer Gefangenschaft zurückkehrt, wo er nach Meinung der Mutter auch hätte bleiben können, zu einem Martyrium für den Knaben entwickelt.
Zucht und Ordnung, gern und oft auch durch väterliche Schläge vermittelt, sind feste Bestandteile seiner Erziehung. Nazimentalität bleibt auch nach dem Krieg Nazimentalität, das erfährt Hans während seiner Ausbildung in einer florierenden Waffenfabrik. Vom Chef unter die Fittiche genommen, öffnet sich für den jungen Mann vermeintlich der Weg in die scheinbar besseren Kreise der Gesellschaft.
Das soll durch die Heirat in eine Familie der oberen Zehntausend geschehen und auf einmal wird klar, dass der arme Heinrich, der zu Beginn des Romans über sein tristes Schicksal und ein vergeudetes Leben klagt, mitnichten zu bemitleiden ist, sondern sich munter, wenn auch vergeblich, an die gesellschaftlichen Bedingungen sozialen Aufstiegs hielt und bereit war, bis zur Selbstverleugnung an der Farce seines Lebens festzuhalten.
Georg Thiel hat mit „Die Natur der Dinge“ einen herben Roman geschrieben, dessen vordergründige Komik schnell und oft in ein erschreckendes Lachen mündet. Mit einer Ausnahme wollen alle Figuren besser erscheinen als sie sind, scheitern jedoch am eigenen Anspruch, der der Realität nicht standhält. Nur Hermynia, die alte, immer hart arbeiten müssende und lebenserfahrene Bäuerin erweist sich letztendlich als wahrhafte Meisterin ihres, an Schicksalsschlägen reichen Lebens.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 7. November 2020