Buchkritik -- Erich Lamp -- Die Macht der öffentlichen Meinung - und warum wir uns ihr beugen

Umschlagfoto  -- Erich Lamp Jeder Mensch wird die Frage, ob er seine Entscheidungen autonom und frei von jeglicher Beeinflussung trifft, vehement bejahen. Schon der leiseste Zweifel seitens eines Dritten daran wird als Beleidigung der persönlichen Integrität verstanden. Entspricht die Vorstellung einer intellektuellen und emotionalen Autonomie den Tatsachen oder ist sie ein, zweifelsohne dem Selbstwertgefühl des Einzelnen schmeichelndes, Trugbild?

Erich Lamp ist dieser spannenden Frage in seinem Buch Die Macht der öffentlichen Meinung - und warum wir uns ihr beugen nachgegangen. Als wenn man es geahnt hätte, sein Fazit ist für die propagierte Autonomie des Individuums eine herbe Enttäuschung. Mitnichten trifft ein Mensch seine Entscheidungen nur aufgrund von Fakten und rationaler Überlegung. Einen wesentlichen Anteil an der Meinungsbildung hat, wie Lamp es ausdrückt, die Schattenseite der menschlichen Natur. Dieses mysteriöse Gebilde, wissenschaftlich nicht messbar, real aber existierend, steht für die Angst des Einzelnen vor dem Verlust der Geborgenheit in der Gruppe. Eine von der Mehrheit abweichende Meinung, ein Handeln welches gegen den Rahmen des gesellschaftlich akzeptierten Verhaltens verstößt, wird als Anschlag, als Provokation, ja sogar als Gefahr für die Normen setzende Gemeinschaft angesehen und mit gesellschaftlicher Ächtung bestraft.

Die öffentliche Meinung, ein ebenfalls dunkler Begriff, ist dabei die große Kontrollinstanz, die im Hintergrund die Fäden zieht. Sie entscheidet darüber, was offiziell gedacht und gesagt werden darf. Schnell stellt sich jedoch die Frage, wer oder was denn diese öffentliche Meinung bildet und wie sie ihren Ausdruck findet.

Die Angst vor dem Ausschluss aus der Gesellschaft, das soziale Abseits, ist tief in der menschlichen Natur verankert. Das Wissen um die Mechanismen der gesellschaftlichen Kontrolle und, zumindest im öffentlichen Leben, die Möglichkeiten der Existenzvernichtung durch die Bestrafungsfunktion der herrschenden Eliten, macht eine vom politisch erwünschten Rahmen abweichende Meinung nahezu unmöglich. Erich Lamp führt in seinen Buch zahlreiche Untersuchungen an, die bestätigen, wie wichtig dem Einzelnen die Meinung der Gruppe über ihn ist. Die Angst vor Isolation und Einsamkeit kann soweit führen offenkundige Tatsachen zu verleugnen und das Gegenteil zu behaupten.

Das nebelhafte Gebilde "öffentliche Meinung" ist aktuell zu einer greifbaren Tatsache mit dem Namen "veröffentlichte Meinung" geworden. Den Rahmen dessen, was erlaubt ist öffentlich zu äußern und was im Gegensatz dazu mit einem Tabu belegt wird, bestimmen Medien und lautstarke Vertreter politischer Richtungen, deren Ziele den Interessen vieler Bürger entgegenstehen, die es jedoch geschickt verstehen die Angst vor Isolation bei abweichender Meinung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Die Analyse von Erich Lamp ist korrekt und doch fühlt der Leser ein Unbehagen. Der Autor führt zwar viele wissenschaftliche Untersuchungen und Experimente an, doch auf aktuelle Beispiele verzichtet er vollkommen. Dabei kann man gerade bei den politischen Rufmordkampagnen der jüngsten Vergangenheit erkennen, wie die Mechanismen der Isolation funktionieren. Die "veröffentlichte Meinung" ist intolerant und doktrinär. Das macht den Kampf dagegen um so notwendiger. Der wirklich mündige Bürger ist leider noch immer eine Ausnahmeerscheinung.




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