Buchkritik -- Elif Shafak -- Der Geruch des Paradieses

Umschlagfoto, Buchkritik, Elif Shafak, Der Geruch des Paradieses, InKulturA Die Vergangenheit kann man zwar ausblenden, doch irgendwann holt sie einen wieder ein. Diese Erfahrung muss auch Peri machen, die in Istanbul auf offener Straße überfallen wird und dabei ein altes Foto aus ihrer Handtasche fällt. Auf einmal ist längst Vergessen geglaubtes wieder präsent und das mit unerhörter Wucht.

Mittleren Alters, im Klartext 35 Jahre alt, verheiratet mit einem älteren Mann, einem, wie eine alte Freundin es ausdrückte "Reparierer" - die andere Klasse Männer sind "Zerstörer" - und Mutter von zwei Kindern, ist sie eine Gefangene zwischen familiärer Vergangenheit und materiell saturierter Gegenwart.

Aufgewachsen in einer zutiefst gespaltenen Familie, die Mutter streng religiös, der Vater zwar Freigeist, jedoch in autoritären Strukturen verharrend, ist Peri immer Zeugin elterlicher Konflikte, die ihr ganzes Leben bestimmen sollen. Ihr Studium in Oxford bietet Gelegenheit, sich vom elterlichen Chaos zu lösen, doch tief in ihrem Inneren ist Peri von überaus ängstlicher Natur und verpasst es, ihr Leben selbstbestimmt in den Griff zu bekommen.

Elif Shafak seziert in ihrem Roman die türkische Gesellschaft, deren wirtschaftliche Elite, ebenfalls gespalten zwischen religiösen Befindlichkeiten und westlichem Lebensstil sich anlässlich einer von Peri besuchten Dinnerparty als verlogen und bigott darstellt.

Mit dem permanenten Wechsel aus Rückblenden aus Peris Vergangenheit und deren aktuellem Leben zeigt Shafak eine Frau, die im Wesentlichen den gesellschaftlichen Spielregeln folgt, jedoch an ihnen zu zerbrechen droht. Zudem ist sie tief religiös, ohne den islamischen Konventionen zu entsprechen. Deshalb ist der Roman auch die Dokumentation einer permanenten Gradwanderung zwischen empfundener Religion und real gelebtem Leben.

Ihre beiden Studienkolleginnen in Oxford stehen beispielhaft für Peris Dilemma. Auf der einen Seite eine lebenslustige und sich keinen, schon gar nicht religiösen Regeln unterwerfende Frau, auf der anderen Seite eine tief gläubige, Kopftuch tragende Muslima, die sich ständig gezwungen fühlt, ihre Religion zu verteidigen.

Als Peri ihr stetes eigenes Zögern nicht mehr ertragen kann, entschließt sie sich zu handeln - ausgerechnet in dem Augenblick, als es anläßlich eines Überfalls maskierter Extremisten während der Dinnerparty zu Gewaltausbrüchen kommt.




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Veröffentlicht am 18. Dezember 2016