Buchkritik -- Michael Köhlmeier -- Das Mädchen mit dem Fingerhut

Umschlagfoto, Michael Köhlmeier, Das Mädchen mit dem Fingerhut, InKulturA Wenn Klischees literarisch bedient oder evoziert werden, ist Vorsicht geboten. So auch in Michael Köhlmeiers neuem Roman "Das Mädchen mit dem Fingerhut", in dem bezüglich Sentimentalität und Schablonendenken nichts, aber auch gar nichts ausgelassen wird.

Das Mädchen Yiza lebt auf der Straße. Mit einem im Dunkel der Handlung verschwindenden Onkel ist sie, der Autor schweigt dazu, wohl ein Flüchtlingskind, dass in einer nicht näher genannten Großstadt irgendwo in Mitteleuropa überleben muss. Weder spricht sie noch versteht sie die Landessprache und nur der phonetische Klang des Wortes Polizei weckt in ihr einen Fluchtreflex.

Sie bettelt, sie leidet, sie ist immer auf der Suche nach Nahrung und wird eines Tages von der Polizei aufgegriffen und in ein Heim gebracht. Dort lernt sie zwei Jungen kennen, Arian und Schamhan, und die drei fliehen aus der Unterkunft und schlagen sich auf eigene Faust durch.

Es zählt immer nur der nächste Tag. Sie stehlen sich Nahrung, werden dabei erwischt und auf ein Polizeirevier gebracht. Von dort, Schamhan gerät hier in eine Schlägerei, fliehen Arian und Yiza erneut und landen in einem leer stehenden Gewächshaus. Deren Besitzerin findet die kranke Yiza und nimmt sie zu sich. Das Mädchen erfüllt den Traum dieser Frau nach einem Objekt, auf das sie eine übertriebene Liebe und Zuwendung projizieren kann, die Yiza letztendlich jedoch nur einsperrt. Als Arian sie befreien will, kommt es zu einer Katastrophe.

Der Leser stellt sich im Lauf der Handlung oft, zu oft die Frage, was uns der Autor mit seinem Werk sagen möchte. Prangert er die Hartherzigkeit der Menschen in den reichen Ländern an? Möchte er uns aufmerksam machen, auf das Leid und die Not von MuFl, von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen? So genau weiß das, hoffentlich mit Ausnahme von Michael Köhlmeier, niemand so richtig.

Dabei wäre es viel interessanter gewesen, die Geschichte hinter der Geschichte zu erzählen, denn auch im reichen Europa fallen kleine Flüchtlingsmädchen nicht einfach mit ihren ominösen Verwandten aus der Luft, landen auf der Straße und fristen fortan ein Leben in Hunger, Kälte und Obdachlosigkeit. Dass das eben nicht der Fall ist, dafür sorgt u. a. eine gut daran verdienende Sozialindustrie.

"Das Mädchen mit dem Fingerhut" ist ärgerlich, weil es das Stereotyp vom armen Flüchtling, hier in Gestalt eines kleinen Mädchens, erzählt, jedoch die manchmal sehr prosaischen Hintergründe sog. Flüchtlinge, wie z. B. die Wohltaten des europäischen Sozialstaates, vollkommen ausblendet.




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Veröffentlicht am 12. März 2016