Wer sich der Person Karls des Großen nähert, stellt fest, wie wenig gesicherte historische Fakten es über diesen mittelalterliche Herrscher gibt und dass bereits zu seinen Lebzeiten die Legendenbildung begann, die sich im Lauf der Geschichte fortgesetzt hat. Das einzige Datum, das wir mit Sicherheit kennen, ist der 28. Januar 814, der Todestag Karls der Großen.
Das genaue Geburtsdatum liegt ebenso im Dunkel der Geschichte wie seine Jugendjahre. Aber auch über sein weiteres Leben erhalten wir keine Faktensicherheit und es ist vor allem der Biographie Einhards zu verdanken, dass wir von den späten Jahren des Herrschers Informationen besitzen. Natürlich, auch das muss der historisch Interessierte wissen, ist Einhards "Vita Karoli Magni" mit gebotener Vorsicht zu betrachten, stammt sie doch aus der Feder eines mit Karl dem Großen eng verbundenen Mannes. Schmeicheleien dürften dabei nicht auszuschließen sein.
Johannes Fried hat in seiner großen Karlsbiographie den Versuch unternommen, sich diesem "ersten Europäer", so eine späte Stilisierung Karls, dadurch zu nähern, dass er sich intensiv mit dem "Raum des Mittelalters" beschäftigt und daraus ein Bild Karls des Großen ableitet, das sein Leben und Handeln, immer eingebettet in den historischen Kontext, dem Leser geradezu plastisch vor Augen führt.
Es war eine raue und in weiten Teilen zerstörte Welt, in der Karl sein Reich aufbaute und absicherte. Wie alles, befand sich auch die Kirche auf dem Niedergang. Es gab kaum einen Priester, der des Lateinischen mächtig war. Die kirchlichen Pflichten, Seelsorge und Beichte, wurden vernachlässigt und in den Klöstern herrschten Sitten, die mit den christlichen Idealen der Kirche nicht vereinbar waren.
Johannes Fried spürt, chronologisch geordnet, dem Leben Karls nach und bietet dem Leser ein opulentes Werk, das manchmal leider etwas weitschweifig daherkommt und z. T. sich einer Sprache bedient, die manchem Leser doch etwas das Lesevergnügen nimmt. Ausführlich zitiert er aus zeitgenössischen Quellen und ein Leser, der mit den historischen Fakten des Mittelalters nicht ganz vertraut ist, kann schon mal den erzählerischen Faden verlieren.
Das schmälert jedoch den Wert des Buches in keiner Weise, zeigt Fried doch dem Leser eine Welt, deren Regeln uns Heutigen fremd sind und in der die gesellschaftlichen Abhängigkeiten, die, streng vertikal organisiert, bei der Lektüre ein großes Einfühlungsvermögen des Leser erfordern - will er denn aus dem Buch "Karl der Große" einen größt möglichen Gewinn ziehen.
"Gewalt und Glaube", so der Untertitel, bringt dann auch das Leben Karls auf den Punkt. Er war ein Herrscher mit dem Schwert und während er seine Macht im Frankenreich zu sichern verstand, erweiterte er sein Reich nach außen mit zahlreichen Feldzügen. Seine Kriege dienten einerseits immer dazu, den Herrschaftsanspruch Karls des Großen zu legitimieren und den von Natur aus aufsässigen Reichsadel an den König zu binden und ihn sich durch Beuteverteilung dauerhaft gewogen zu machen.
Daneben war aber Karl der Große immer auch ein militanter Vertreter des Christentums, was nicht zuletzt die von ihm geführten Sachsenkriege zeigten, die, zuerst wohl der Grenzsicherung, dann aber hauptsächlich der Unterwerfung und Christianisierung der Sachsen dienten.
Karl führte, würden wir heute sagen, Reformen durch, die nicht zuletzt seinen Mythos, den die Nachwelt ihm zugeschrieben hat, begründeten. Die Verbesserung der Verwaltung, eine verbesserte Gesetzgebung und die Wiederherstellung kirchlicher Ordnung war ebenso das Ziel seiner Politik wie auch die Förderung der Bildung. Auch hier täte der Leser gut daran, sich zu erinnern, dass Johannes Fried von einer Zeit berichtet, in der die überwiegende Mehrheit illiterat war und es auch nach den Reformen Karls blieb. Die gesellschaftliche Ordnung des Mittelalters wurde auch unter den Reformen Karls des Großen nicht verändert. Erst das Hochmittelalter hat von der "Karolingischen Renaissance" profitiert.
"Karl der Große: Gewalt und Glaube" ist die bislang umfangreichste Biographie über Karl den Großen und sie besticht durch ihren Detailreichtum, der sie zu einem Standardwerk macht. Aber, und der Leser sei darauf hingewiesen, es ist auch diese Fülle an historischen Details, die die Lektüre mitunter etwas spröde gestaltet. Wer sich auf dieses Wagnis einlässt, wird mit einem Werk belohnt, dass zugleich anschaulich und spannend ist.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 31. Januar 2014