Buchkritik -- Olga Grushin -- Suchanow verkauft seine Seele

Umschlagfoto  -- Olga Grushin  --  Suchanow verkauft seine Seele Für jeden Menschen kommt einmal der Tag, an dem er mit seinem bisherigen Leben abrechnen muss. Diesen Augenblick kann man sich in der Regel nicht aussuchen, sondern wird von ihm getroffen. Ausflüchte und Ausreden werden dann nicht mehr erlaubt sein und der Konfrontation mit der eigenen Person, ihren Fehlern, ihrer Feigheit, ihren Schwächen und falschen Leidenschaften wird nicht mehr ausgewichen werden können. Wie die Bilanz aussieht, die zu ziehen das Individuum gezwungen ist, kann niemand im Voraus sagen.

Olga Grushin hat in ihren Roman Suchanow verkauft seine Seele diesen Verlauf einer existentiellen Bilanz beschrieben. Anatoli Suchanow, Herausgeber und Chefkritiker der führenden Kunstzeitschrift der UdSSR, war in seiner Jugend ein leidenschaftlicher Anhänger und Verfechter der zeitgenössischen Kunst. Mit Gleichgesinnten bildete er so etwas wie eine künstlerische Avantgarde. Nach einer Ausstellung ihrer Werke fiel die Gruppe in politische Ungnade und somit scheiterten ihre künstlerischen Lebenswege.

Suchanow, inzwischen verheiratet mit der Tochter eines arrivierten und politisch korrekten Malers, bekommt von seinem Schwiegervater das Angebot einen Artikel zu schreiben, für den er jedoch seiner bisherigen Kunstvorstellung abschwören muss. Nach langen inneren Kämpfen geht er darauf ein und steigt infolgedessen selber zum "Apparatschik" auf. Als die UdSSR Ende der achtziger Jahre auf ihren Untergang zu steuerte und sich die bisherige, offiziell vertretene Kunstdoktrin änderte, war damit auch das Schicksal Suchanows besiegelt.

Olga Grushin erzählt in ihrem bewegenden Buch von dem Lebensweg eines Menschen, der sich entscheiden musste zwischen Verweigerung und der daraus resultierenden Armut und gesellschaftlichen Ächtung oder der Anpassung an die politisch gewünschte Linie und dem damit zusammenhängenden sozialen Aufstieg. Suchanow ist, wie die meisten von uns, kein Held und er hat nicht die Kraft, dem System zu widerstehen. Er wählt den Weg des geringsten Widerstandes und passt sich an. Das geht einige Jahre gut und seine Position scheint unangreifbar. Es fehlt ihm jedoch, im Gegensatz zu seiner Frau und seinen beiden Kindern, das Gespür für die anstehenden Veränderungen und deshalb treffen sie ihn mit voller Wucht.

Er verliert zusehends den Kontakt mit der auch von ihm geprägten Realität und gerät ins innere Abseits. Da er der gewünschten Korrektur der offiziellen Parteilinie nicht folgen will und kann, stellt man ihn kurzerhand kalt und enthebt ihn seines Posten. Die Autorin läßt den Leser teilhaben an der Verwirrung des Anatoli Suchanow. In dem Rückblick auf sein Leben zeigt uns Grushin einen Menschen, der nicht bösartig oder fanatisch ist, sondern der in einer für sein Leben wichtigen Entscheidung den ihm einzig gangbar erschienenen Weg genommen hat. Diese Tragik berührt den Leser auf eine einzigartige Weise, denn in jedem von uns steckt ein Stück Suchanow.




Meine Bewertung:Bewertung