Buchkritik -- Christopher Hitchens -- Die Akte Kissinger

Umschlagfoto  -- Christopher Hitchens  --  Die Akte Kissinger Wenn man sich einmal die Frage stellt, wann ein Politiker mit den Attribut "großer Staatsman" bedacht wird, dann fallen einem zuerst Friedensbemühungen, Völkerverständigung und kluge politische Entscheidungen ein. Doch das ist nur die vordergründige Betrachtungsweise. Hinter jeder Politik steht ein gewisses Kalkül und dies wiederum muß mit den Interessen des jeweiligen Staates in Übereinstimmung stehen. Das es dabei selten moralisch zugeht verwundert den realistischen Betrachter nicht.

Henry Kissinger ist dafür ein gutes Beispiel. In den fünfziger und sechziger Jahren war Kissinger zeitweise außenpolitischer Berater der Präsidenten Dwight D. Eisenhower, John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson. 1969 wurde er Nixons Sicherheitsberater und gestaltete bald auch die amerikanische Außenpolitik entscheidend mit. 1972 begleitete er Nixon nach China und in die UdSSR und vertrat die USA bei den Friedensverhandlungen im Vietnamkrieg. Im Januar 1973 schloss er ein Waffenstillstandsabkommen mit Vietnam, wofür er zusammen mit Le Duc Tho 1973 den Friedensnobelpreis erhielt. Im August 1973 ernannte ihn Präsident Nixon zum Außenminister. Im Nahen Osten vermittelte Kissinger zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten: 1974 brachte er ein Truppenentflechtungsabkommen zwischen Israel und Ägypten zustande, ein Jahr später vermittelte er ein Abkommen zwischen Syrien und Israel und leitete den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten von 1979 in die Wege. In Afrika scheiterten 1976 seine Versuche, den kommunistischen Einfluss in Angola zurückzudrängen. Anfang 1977 nahm Kissinger seinen Abschied aus dem Außenministerium, blieb aber weiterhin als Publizist und Elder Statesman aktiv.

Soweit in Kürze die allgemein bekannte Version. Christopher Hitchens hat sich in seinem Buch über Kissinger etwas kritischer mit der Person Kissinger und seinem politischen Einfluss auseinandergesetzt. Herausgekommen ist ein Bild, das sich erheblich von dem offiziellen unterscheidet. Hitchens weist mit Hilfe von erst kürzlich freigegebenen Akten und Gesprächsprotokollen nach, das eine große Diskrepanz besteht zwischen Kissingers Selbstdarstellung in seinen Memoiren und dem tatsächlichen Geschehen. Kissingers politische Fassade und seine faktische Politik waren diametral entgegengesetzt.

Dem Friedensnobelpreis für einen Waffenstllstand im Vietnamkrieg gingen z. B. jahrelange Blockaden des Friedensprozeßes durch Kissinger voraus. Im Jahr 1970 gelang es ihm als oberster Kontrolleur des amerikanischen Geheimdienstes den Amtsantritt des gewählten chilenischen Präsidenten Salvador Allende zu verhindern. Hitchens weist nach, das Kissinger von den genauen Abläufen von Allendes Sturz im voraus Bescheid wußte. Der blutige Umsturz führte zu einem jahrelangen Bürgerkrieg.

Wenn es eine Konstanz im politischen Wirken von Henry Kissinger gab, dann bestand sie darin entgegen der offiziell propagierten Bekenntnis zur Demokratie immer Diktaturen zur Abwehr des Kommunismus zu etablieren. Bürger- und Menschenrechte blieben jedesmal aussen vor. Gerade die neu veröffentlichten Akten belegen, dass Kisinger mitnichten der große Staatsman war, dem es hauptsächlich um Frieden ging, sondern ein gewissen- und skrupelloser Machtpolitiker der auch vor Mordkomplooten nicht zurückschreckte. Christopher Hitchens hat zu Recht am Denkmal dieses Politikers gekratzt.




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