Buchkritik -- Evelina Jecker Lambreva -- Im Namen des Kindes

Umschlagfoto, Buchkritik, Evelina Jecker Lambreva, Im Namen des Kindes, InKulturA Zu Anfang eine, zugegeben, provokante Frage. Warum braucht man zum Führen eines Kraftfahrzeugs eine staatliche Erlaubnis, zum Erziehen von Kindern jedoch nicht? Erfordert das Fahren eines Autos im Verkehr etwa mehr Fähigkeiten als das sich über mindestens zwei Jahrzehnte hinziehende, mit vielen gesellschaftlichen und pädagogischen Fallstricken bestückte verantwortungsvolle Großziehen von Kindern?

Geworfenheit, um einen Terminus Heideggers zu verwenden, der, obwohl von ihm in einem anderen Zusammenhang benutzt, die Geburt eines Kindes treffend beschreibt. Von niemand gefragt und die ersten Lebensjahre abhängig vom Wohlwollen und der elterlichen Liebe, wird ein Mensch ins Dasein geworfen, immer in der Hoffnung, dass die Verantwortlichen ihren Pflichten gewissenhaft nachkommen.

Was aber geschieht, wenn, wie in dem bewegenden Roman von Evelina Jecker Lambreva, der Kinderwunsch einer narzisstisch veranlagten Frau nur mithilfe moderner Reproduktionstechnik erfüllt werden kann?

Ausgehend vom Verschwinden einer jungen Frau, Rebecca Leuenberger, beschreibt die Autorin den Lebens- und Leidensweg einer Tochter, die in eine zunehmend toxische Ehe hineingeboren wird und der, will sie ein eigenes und selbst bestimmtes Leben führen, nur die Möglichkeit bleibt, sich von ihrer Mutter zu distanzieren, was sich jedoch als unmöglich erweist, denn diese ist nicht bereit, ihrer Tochter den Freiraum zu gestatten, den sie beansprucht.

Rebecca reagiert auf ihre Weise und die Leserinnen und Leser müssen sich genau wie die Protagonistin fragen, welche Personen außer den Eltern für die Erziehungskatastrophe verantwortlich sind. Ist es ein bekannter Gynäkologe, der für die, im weitesten Sinn, Erzeugung verantwortlich war? Ist es der Psychiater, dem die charakterlichen Mängel der Mutter bekannt gewesen sind, der trotzdem eine unzutreffend positive Beurteilung abgegeben hat?

Schuld und Verantwortung, das sind die zentralen Fragen des Romans über die Zerstörung eines Lebens und ausgerechnet das Opfer Rebecca Leuenberger entscheidet final, sich ihrer Verantwortung zu stellen.




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Veröffentlicht am 22. Juli 2022