Buchkritik -- Der Kulturinfarkt - Von allem zu viel und überall das Gleiche

Umschlagfoto  -- Der Kulturinfarkt, InKulturA Im Kulturfinanzbericht 2010 des Statistischen Bundesamtes kann man erfahren, "Für das Jahr 2010 werden gemäß der Haushaltsplanungen Kulturausgaben in Höhe von 9,6 Milliarden Euro veranschlagt." Mithin eine enorme Summe. Es muss jedoch, nicht nur aufgrund der Höhe dieses Betrags, die Frage gestellt werden, auf welche Weise das Geld in Zeiten knapper öffentlicher Kassen verwendet wird. Diesem Thema haben sich die vier Autoren, Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz mit einer Polemik über den drohenden Kulturinfarkt gewidmet und sich darangemacht, die Mechanismen des Von allem zu viel und überall das Gleiche zu kritisieren.

Kultur ist im deutschsprachigen Raum, d. h. neben der Bundesrepublik auch in Österreich und der Schweiz ein sakrosankter Begriff, dessen Hinterfragen in der Regel einen Sturm öffentlicher Entrüstung auslöst. Kultur ist ebenfalls ein Sammelsurium von Begriffen und Dienstleistungen, auf deren gesellschaftliche Relevanz gern und oft hingewiesen wird. Im Geleitwort des Kulturfinanzberichts 2010 heißt es dann auch "Eine lebendige, weltoffene und innovative Gesellschaft ist nur schwer vorstellbar ohne die zahlreichen Impulse, die sie durch Kunst und Kultur erhält." und weiter "Daher ist es besonders wichtig, dass wir die in Jahrhunderten gewachsene und international einzigartige kulturelle Infrastruktur der Kulturnation Deutschland nicht zur Disposition stellen." Kultur und alle damit abgedeckten Definitionen sind also per se Sache des nationalen Interesses.

An genau dieser Stelle setzt die Kritik der vier Autoren ein. Indem der Staat, h. h. die öffentliche Hand sich als Hüter und Bewahrer der Kultur generiert, mischt er sich in ein, die Autoren scheuen sich glücklicherweise nicht davor, es als solches zu bezeichnen, Marktgeschehen ein und verzerrt dessen inhärente Mechanismen. Das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage wird dadurch außer Kraft gesetzt und anstelle dessen ein auf Subventionen angewiesenes Staatsmonopol etabliert.

Der deutsche "Kulturbürger", ebenso verspätet wie die Nation, war die Antwort auf den bis ins 19. Jahrhundert fehlenden politischen Einfluss des Bürgertums. Die Kultur war der Ersatz einer aufstrebenden Gesellschaftsschicht, der eine politische Gestaltungsmöglichkeit vorenthalten wurde. Resultierend aus den Verbrechen des Nationalsozialismus, die als ein Bruch mit der Kultur verstanden wurden, ist die Kulturpolitik der Bundesrepublik in die Verantwortung des Bundes, und der Länder, Grundgesetz (Art. 28 Abs. 2), gelegt. Diese Verpflichtung kostete den Steuerzahler im Jahr 2010 fast 10 Milliarden Euro.

Es geht in dem Buch "Der Kulturinfarkt" weniger um die Frage nach dem Wesen von Kunst und Kultur, sondern im Wesentlichen um die Verwendung der Mittel und den Würgegriff des Staates, in dem sich die kulturellen Institutionen dieses Landes derzeit befinden. Kultur ist in der Bundesrepublik größtenteils die Angelegenheit des Staates und so verwundert es nicht, wenn die Verwendung der finanziellen Mittel eher mit dem Gießkannenprinzip funktioniert, als durch sinn- und planvoll eingesetzte Zuwendungen.

Kultur ist ein Zuschussunternehmen und die Kosten übersteigen bei weitem den finanziellen Nutzen. Ebenso verfehlt sie auch das bereits in den 80er Jahren erklärte politische Ziel "Kunst für alle" zu sein. Der Kreis derjenigen, die Kunst und Kultur goutieren hat sich entgegen großer politischer Ambitionen nicht relevant erweitert. Theater, Oper und andere Einrichtungen haben sogar mit einem Rückgang der Zuschauerzahlen zu kämpfen.

Eine Kulturbürokratie, genauer gesagt, die Verwaltung durch eine politisch institutionalisierte Kunstsubventionierungsmaschinerie ist nicht dazu in der Lage, auf die Veränderung des Marktes der bürgerlicher Kulturteilnahme zu reagieren. So fordern denn auch die Autoren eine Entflechtung von Politik und Kultur. Letztere muss sich von den bürokratischen Vorschriften und politischen Mechanismen befreien wenn sie ihren Platz in einer sich wandelnden Gesellschaft behalten will.

Nun gehört es zweifelsohne zum "guten Ton" einer sich aufgrund nicht enden wollender Fördergelder elitär gebenden Kulturschickeria gerade die zeitgenössischen Werke als besonders wichtig zu bezeichnen, die wenig oder gar keinen Anklang beim Publikum finden. In den Augen der "Kulturmacher" ist Gewinn geradezu verpönt und ausschließlich der Ausdruck einer vom Geist des Kapitalismus infizierten Gewinnmaximierung. Auf diese Weise kann man auch sein Publikum für unmündig erklären.

Der Kunst- und Kulturbetrieb in Deutschland muss sich, so die Autoren, stärker als Markt verstehen und auf die Wünsche seiner Zielgruppen eingehen. In Zeiten leeren Kassen kann es nicht angehen, dass die Auslastung der Theater oder Opernhäuser bei nur 35 Prozent liegt. Ein wenig mehr marktwirtschaftliches Denken und Handeln würde aus der defizitären Kulturbehörde Bundesrepublik ein - was für eine Ungeheuerlichkeit für das Regietheater - wenn schon nicht gewinnbringendes, so doch zumindest kostendeckendes Unternehmen machen.

Ganz im Sinn einer Polemik stellen die Autoren die süffisante Frage, woran es wohl liegen mag, dass immer mehr Studenten sich für den Beruf Kultur- und Eventmanager entscheiden und nicht für - die werden nämlich dringender gebraucht - den des Ingenieurs. Dem schließe ich mich, ebenfalls sehr polemisch, an und frage, warum ein Autor, dessen Bücher wie Blei in den Verkaufsregalen liegen und der sich ausschließlich durch Stipendien, Fördergelder, Literaturpreise und sonstige finanzielle Transfers finanziert, nicht erkennen will, dass es besser für ihn wäre, sich einen anderen Beruf zu suchen.

Kunst und Kultur müssen sich, so die Aussage des Autorenteams, auch dem Markt von Angebot und Nachfrage stellen. Allein die selbstreferentielle Aussage, ein gesellschaftlich oder künstlerisch unverzichtbarer Literat, Musiker oder Maler zu sein, sorgt anscheinend in zahlreichen Fällen nicht für die selbstverdiente Butter auf dem Brot.




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