Buchkritik -- Philipp Müller -- machiavelli.net

Umschlagfoto  -- Philipp Müller  --  machiavelli.net, InKulturA Die Informationsgesellschaft des digitalen Zeitalters konfrontiert Gesellschaft und Wirtschaft, aber auch, und dies in einem besonderen Ausmaß, die Politik mit bislang unbekannten Fragen, auf die die bisher in der Regel hierarchisch organisierten politischen und wirtschaftlichen Strukturen nicht vorbereitet zu sein scheinen. Wir erleben derzeit einen rasanten Wandel der Kommunikationsmöglichkeiten. Web 2.0 bietet die Plattform für zahlreiche interaktive, d. h. die Mitarbeit des Users fordernde Applikationen wie Twitter, Facebook oder Wikipedia. Social Media ist dann auch folgerichtig das Schlagwort, unter dem aktuell ein Paradigmenwechsel stattfindet, dessen Konsequenzen noch nicht einmal annähernd ausgelotet werden können.

Philipp Müller hat sich in seinem Buch machiavelli.net mit den Auswirkungen des stattfindenden gesellschaftlichen Wandels beschäftigt und zeigt, dass die globale Vernetzung den bislang benutzten Funktionsmodellen und Interaktionskanälen neue und den Herausforderungen der Zukunft angemessenere Mittel zur Verfügung stellt.

Kommunikation in Echtzeit und Informationsaustausch ohne die Filterung durch politische Propaganda oder journalistische Einflußnahme sind die wesentlichen Bedingungen für die von Philipp Müller beschriebene "Offenheit". Damit in einem engen Zusammenhang stehend ist die Abflachung der hierarchischen Strukturen, deren systemimmanente Langsamkeit keine adäquate und flexible Problemlösung ermöglicht.

Ausgerechnet einen umstrittenen Autor und politischen Ratgeber wie den Florentiner Niccolò Machiavelli als Paten für die Lösungsvorschläge seitens der Autors zu benennen, zeigt die Dringlichkeit der anstehenden Probleme. Auch der politische Philosoph Machiavelli lebte im Zeiten des Umbruchs. Die Renaissance schickte sich an, den Menschen aus der Umklammerung der Kirche und des Glaubens zu befreien und dem göttlichen Willen das politische Individuum gegenüberzustellen. Philipp Müller zeigt einige der historischen Paradigmenwechsel, die den weiteren Verlauf der Geschichte maßgeblich beeinflusst haben. Martin Luther, der, so der Autor, erste Blogger, dessen am 31. Oktober 1517 an das Hauptportal der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagene 95 Thesen den weiteren Verlauf der Geschichte ebenso dramatisch verändert haben, wie die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg.

Das Internet und die neuen Formen der Kommunikation bedeuten einen Abschied von bislang angewandten Methoden und erfordern geradezu eine Änderung auf zwei Ebenen. Die Führungskräfte in Politik und Wirtschaft müssen sich, wenn sie an der Gestaltung der Zukunft beteiligt bleiben wollen, mit dem Prinzip der Offenheit anfreunden und es realisieren. Die Zeit der einsamen und für die Bürger nicht nachvollziehbaren Entscheidungen in politischen Zirkeln und Hinterzimmern ist vorbei. Wie schnell die Netzgemeinde reagieren kann, dass haben die Politiker z. B. bei den Demonstrationen gegen ACTA, das Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen erfahren müssen.

Doch auch die Bürger, die User und Teilnehmer der Informationsgesellschaft, müssen verstehen, welche Möglichkeiten, aber auch Risiken sich ihnen durch die neuen Social Media ergeben. Die Informationsplattform Wikipedia ist für Philipp Müller ein gutes Beispiel für die Möglichkeiten der digitalen Gesellschaft. Die Informationshierarchie verläuft nicht mehr von oben nach unten, sondern wirkt aus der Breite zum Nutzen für alle. Dass nicht jeder in den angewandten Geschäftspraktiken von Facebook ein Beispiel für die vom Autor geforderte neue Offenheit sehen kann, ist verständlich. Jedoch, und Müller betont das auch deutlich, müssen die Spielregeln der digitalen Gesellschaft erst noch erkundet und gesetzt werden.

Die politische Führung und die Bürger werden, wenn das Modell "Offene Staatskunst" funktionieren soll, enger zusammenarbeiten müssen. Ebenso werden Unternehmen, die erfolgreichen machen das bereits jetzt, näher an ihre Kunden heranrücken müssen und diese, wie es aktuell bereits bei Beta-Versionen von Software gehandhabt wird, den Konsumenten an der Entwicklung neuer Produkte teilhaben lassen.

Dieser globale Strukturwandel ist sowohl Herausforderung als auch Chance, der jedoch auch schnell an seine Grenzen stoßen kann. Es ist begrüßenswert, wenn auf den Internetseiten der öffentlichen Verwaltung - der Autor führt hier maerker.brandenburg an - die Bürger sich z. B. aktiv an der Informationsbeschaffung über den baulichen Zustand der Straßen beteiligen, wenn sie also Schäden melden, diese dann jedoch wegen fehlender Haushaltsmittel nicht repariert werden können.

machiavelli.net ist ein geeigneter Leitfaden für alle, die den gesellschaftlichen Wandel mitgestalten wollen. Diese Gestalter sind bereits heute nicht nur Politiker, Manager oder Wissenschaftler, sondern ebenfalls viele Bürger. Wenn das Projekt "Offenheit" funktionieren soll, dann werden sich so viele Menschen wie möglich an der Gestaltung des globalen Gemeinwesens beteiligen müssen.

Politiker und Manager auf der einen und die Bürger auf der anderen Seite werden sich von ihren tradierten Rollen verabschieden müssen. Das mag für manche unbequem sein oder gar, wie bei den noch herrschenden Eliten, mit dem Verlust von Macht einhergehen. Wer diesen neuen Weg nicht mitgehen will, der wird schnell ins gesellschaftliche und politische Abseits geraten. Philipp Müller zeigt Wege auf, das zu vermeiden.




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