```

Buchkritik -- Kaliane Bradley -- Das Ministerium der Zeit

Umschlagfoto, Buchkritik, Kaliane Bradley, Das Ministerium der Zeit, InKulturA Der Debütroman der britisch-kambodschanischen Autorin Kaliane Bradley lässt unweigerlich Assoziationen zu Dan Simmons’ packender Schilderung der Franklin-Expedition in „Terror“ aufkommen: Auch hier steht die verhängnisvolle Abenteuerlust des viktorianischen Großbritannien im Zentrum, doch Bradley verlagert die Bühne in eine nicht allzu ferne Zukunft, in der das Land heimlich über eine voll funktionsfähige Zeitreisetechnologie verfügt. Dieses temporale Portal, so stellt sich heraus, ist der Dreh- und Angelpunkt eines streng gehüteten Regierungsprojekts, das vom ominösen „Ministerium der Zeit“ gelenkt wird.

In Bradleys Vision werden ausgewählte Probanden aus verschiedenen Epochen – sorgfältig rekrutiert, um in ihrer Abwesenheit die Kontinuität der Gegenwart nicht zu gefährden – in die Gegenwart geholt. Einer von ihnen ist Lieutenant Graham Gore, Veteran und sinnbildliches Relikt der Franklin-Expedition. Jeder Zeitreisende erhält eine sogenannte „Brücke“, eine Betreuerin oder einen Betreuer, deren vordergründige Aufgabe es ist, den Rekruten Orientierung zu geben, doch hinter dieser Fassade lauert auch die perfide Kontrolle durch den Staat.

Bradleys Erzählung entfaltet sich als retrospektiver Bericht aus der Perspektive von Gores namenloser „Brücke“. Die Ich-Erzählerin – wie Bradley selbst in ihrer Doppelherkunft britisch-kambodschanischer Prägung verankert – ringt mit ihrer Rolle: Einerseits soll sie Gores überkommenes, strikt imperialistisches Weltbild korrigieren, andererseits findet sie sich unversehens in einer leidenschaftlichen Affäre mit dem Lieutenant wieder. Diese Liebesgeschichte, sensibel skizziert und doch mit aller Unwägbarkeit politischer Korrektheit konfrontiert, gerät bald ins Fadenkreuz von Verrätern innerhalb des Ministeriums. Zwei mysteriöse Agenten setzen eine tödliche Hetzjagd in Gang, deren Hintergründe im Dunkeln bleiben – und die Leserinnen und Leser fiebern mit der Frage: Wer zieht die Fäden, und welches Ziel verfolgt dieser unbarmherzige Machtapparat?

Genregrenzen sprengt Bradley gekonnt: Ihr Roman schlägt Brücken von spekulativer Zeitreise-Fiktion über erotisch aufgeladene Liebesgeschichte bis hin zu beklemmender Dystopie – eine literarische Melange, die an eine ungewöhnliche Liaison von Orwell’scher Politanalyse und Graham Greenes psychologischem Feingefühl erinnert. Die Konfrontation zwischen Gores starrsinnigen Vorstellungen von imperialer Naturgewalt und der sensiblen, postkolonial geprägten Wahrnehmung der Erzählerin eröffnet Raum für eine unaufdringliche, aber prägnante Auseinandersetzung mit Themen wie Rasse, Kolonialvergangenheit und der Fragilität zeitgenössischer Identitäten. Gleichzeitig fungiert Gores Desorientierung durch die abrupten zeitlichen Versetzungen als Metapher für das erzwungene Erleben von Migration: das Gefühl, aus dem vertrauten Rahmen gerissen und in einer unwirtlichen neuen Welt an Land gesetzt zu werden.

In den ersten Kapiteln schlägt Bradley aus dem Vollen: Stringent, temporeich und mit einem schalkhaften Sinn für Situationskomik schildert sie, wie die Zeitreisenden die moderne Welt erkunden. Da ist Maggie aus dem 16. Jahrhundert, die endlich offen ihre lesbische Identität leben kann, und Arthur, der aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs entrissen wird und behutsam sein queeres Selbst entdeckt. Solche Szenen entfachen Neugier und Humor, und man wünscht sich, die Autorin würde diesem hohen Erzähltempo über die gesamte Länge treu bleiben.

Doch spätestens im Mittelteil tritt Ernüchterung ein: Der Roman verliert sich in manchem ausschweifenden Dialog und in Episoden, die wenig zur Vorwärtsbewegung der Handlung beitragen. Diese Leerlaufphasen strapazieren die Ausdauer der Leserschaft, zumal sie dramaturgisch nicht recht gerechtfertigt erscheinen. Gegen Ende überschlägt sich die Handlung regelrecht: Verstrickungen, Enthüllungen und Verschwörungstheorien werden in rasanter Abfolge aufgelöst – ein Übermaß, das den kritischen Blick verstellt und den Eindruck erweckt, Bradley wolle allzu viele gesellschaftliche und persönliche Konflikte zugleich ansprechen, ohne ihnen jeweils zum angemessenen Raum zu verhelfen.

Besonders hölzern wirkt an manchen Stellen die Rückblenden in die Arktis-Expedition, die eher wie ein Fremdkörper wirken, denn wie eine organisch gewachsene Erzählung. Dennoch bleibt der Roman trotz dieser konzeptionellen Schwächen eine lohnende Lektüre: Kaliane Bradley gelingt es, mit ihren sympathischen Zeitreisenden und der Mischung aus Abenteuer, Intimität und politischem Tiefgang zu fesseln. Wer sich auf dieses literarische Experiment einlässt, erhält eine durchaus ansprechende, bisweilen eskapistische, aber nicht oberflächliche Story, die Lust auf Bradleys nächstes Werk macht.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 1. Mai 2025