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Buchkritik -- Brooke Harrington -- Offshore

Umschlagfoto, Buchkritik, Brooke Harrington, Offshore, InKulturA „Die Reichen kümmern sich nicht selbst um ihr Geld“, so Brooke Harrington, die Autorin von „Offshore – Wie Vermögensverwalter Reichtum tarnen und einen neuen Kolonialismus schaffen“, und bringt damit einen scharfsinnigen Gedanken auf den Punkt: Die finanzielle Elite der Welt, die über gigantische Summen verfügt, delegiert ihre Geldangelegenheiten und Verantwortung an ein Netzwerk von Verwaltern und Beratern. Sie selbst, so skizziert Harrington, verstehen oft weder die Mechanismen hinter ihrem Vermögen, noch könnten sie einfachste Aufgaben des Alltags bewältigen – wie das Wechseln einer Glühbirne. Ihre Lebenswirklichkeit ist so weit von der Realität der meisten Menschen entfernt, dass sie in einer eigenen, oft anonymen Sphäre existieren, abgeschirmt und abgesichert durch ihre Verwalter, die dafür sorgen, dass ihre Reichtümer fernab jeder Kontrolle gedeihen.

Harrington gewährt mit „Offshore“ einen tiefgehenden und verstörend faszinierenden Einblick in diese verborgene Welt, die geprägt ist von systematischem Steuervermeiden und Verschleiern. Durch präzise, langjährige Recherchen und einen Fokus auf die Menschen, die für diese Mechanismen verantwortlich sind – die Vermögensverwalter – gelingt es ihr, den Schatten dieses Systems auszuleuchten und die tiefgreifenden Konsequenzen sichtbar zu machen. Die Leserinnen und Leser werden in eine Welt eingeführt, in der eine globale Elite auf Kosten der Allgemeinheit handelt und dabei ihr Selbstverständnis als „Oberklasse“ bewusst zur Schau stellt. Harrington verdeutlicht dabei, wie die Strategien und Netzwerke dieser Verwalter die Lebensrealität in den Gesellschaften unterhöhlen, in denen die Reichen oft kaum noch ansässig sind und die Nationen in eine komplexe Steuererosion treiben.

Mit soziologischem Feingespür und einer scharfsinnigen, historischen Perspektive zeigt die Autorin – selbst Professorin am Dartmouth College in New Hampshire – auf, wie das Offshore-System nicht nur ein Produkt des modernen Finanzwesens ist, sondern ein Erbe des britischen Kolonialismus. In einer erhellenden Analyse veranschaulicht sie, wie die kolonialen Strukturen und Gesetze von einst den Boden für die heute gängige Praxis des Offshorings bereiteten. Besonders eindrucksvoll legt Harrington die Spuren des britischen Finanz- und Rechtssystems dar, die bis in die Gegenwart reichen und heute als Fundament dienen, auf dem Steuerparadiese und anonyme Trusts entstehen und gedeihen konnten – eine unheilvolle, fast schon tragische Kontinuität im globalen Wirtschaftssystem.

Doch „Offshore“ ist mehr als nur eine historische Analyse. Harrington zeigt auch, wie das Offshore-System auf direktem Wege zur finanziellen Schieflage der Steuerzahler führt: Während gewaltige Vermögen in Steueroasen verschoben werden, tragen gewöhnliche Bürger höhere Steuerlasten und müssen Einbußen im öffentlichen Dienst hinnehmen. Sie beschreibt, wie politische Kräfte, statt dem Wohl des Volkes zu dienen, zunehmend den Interessen der Superreichen folgen. Diese Verschiebung – weg von demokratischen Prinzipien hin zu einer Elitefixierung – wirkt sich auf die Finanzstrukturen und letztlich auf die Gesellschaft als Ganzes aus.

Für Leser, die einen fundierten Einblick in die Mechanismen suchen, welche globale Ungleichheit befördern und populistische Bewegungen begünstigen, stellt dieses Buch einen hervorragenden Ausgangspunkt dar. Harrington präsentiert darüber hinaus im Anhang eine Fülle weiterführender Literatur, die das Thema vertieft und verknüpft. Ihre präzise Darstellung und das durchweg hohe Analysevermögen machen „Offshore“ zu einem wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte um Steuergerechtigkeit.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt jedoch: Harringtons Vorschlag, die Vermögensverwalter und deren Arbeitgeber durch eine ethische Überzeugungsarbeit und die Macht der öffentlichen Meinung zur Kooperation zu bewegen, wirkt stellenweise naiv. Angesichts der verlockenden Gewinne und der tief verwurzelten Strukturen innerhalb der Finanzeliten scheint die Erwartung, dass moralische Appelle gegen die oft übermächtige Gier ankommen könnten, wenig realistisch. Der Status quo wird von zahlreichen Akteuren nur allzu gern aufrechterhalten, darunter auch politische Entscheidungsträger, wie die Panama Papers eindrücklich offenbarten.




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Veröffentlicht am 6. Oktober 2024