Buchkritik -- Michel Onfray -- Niedergang

Umschlagfoto, Buchkritik, Michel Onfray, Niedergang , InKulturA Eigentlich könnte der Leser, nähme dieser Michel Onfray bzw. seine Aussagen über die Endlichkeit aller Dinge „Denn alles Lebendige stirbt, und alles Seiend geht unter: ein Stern wie eine Galaxie, ein Universum wie eine Spezies“ ernst, das Buch in der Hoffnung, unsere Sonne wird sich nicht zu dessen Lebzeiten in einen alles, auch die Erde verschlingenden Roten Riesen verwandeln, beiseitelegen, um sich fortan nur noch um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Das wäre zum einen etwas respektlos gegenüber einem Autor, der auf über 700 Seiten den, wie er es nennt „Aufstieg und Fall der abendländischen Kultur“ abhandelt und zum anderen würde der Leser sich einer, sagen wir es dezent, etwas anderen Sicht des Christentums und seiner immerhin bereits mehr als 2000-jährigen Geschichte berauben.

Denn, so Onfray gleich zu Beginn seines Werkes, Jesus hat es nie gegeben und damit ist die Grundlage dieser Religion eine fiktive Idee, die erst durch Paulus an Gestalt gewonnen hat. Durch ihn beginnt auch die Leibfeindlichkeit der Kirche, die erst mit der Renaissance ein Ende findet.

„Nicht Kulturen bringen Religionen hervor, sondern Religionen sind der Ursprung der Kulturen“. Wenn diese Aussage stimmt, dann wird Onfrays kulturpessimistischer Ansatz logisch, denn zumindest in der westlichen Welt, sieht man einmal von den USA ab, ist zumindest die christliche auf dem Rückzug.

Versteht man den Autor richtig, dann gibt es drei markante Wendepunkte in der Geschichte des christlichen Glaubens. Der erste ist der Auftritt des Paulus, im Prinzip das Urbild des Konvertiten, und dessen Verantwortung für eine lange und dunkle Periode des katholischen Glaubens, der, von Konstantin zur Staatsreligion erhoben, dem Geist Fesseln angelegt hat.

Der zweite ist die Wiederentdeckung des Manuskripts „Über die Natur der Dinge“ von Epikur durch Poggio Bracciolini im Jahr 1417 und dessen Einfluss auf das Menschen- und Weltbild der italienischen Renaissance. Damit jedoch, so Onfray, wurde dem Glauben eine der ersten Breschen geschlagen. Diese führte, und das ist der dritte und entscheidende Wendepunkt der christlichen Religion, durch die Aufklärung und die Französische Revolution zum endgültigen Niedergang nicht nur der Kirche, sondern auch der christlich-jüdischen Kultur und die dadurch bedingte – die Geschichte kennt Vakuum der Macht – „Übernahme der kulturellen Vorherrschaft in Europa durch den Islam“, und die, so jedenfalls Onfray, Abschaffung des Menschen durch einen „Transhumanismus“.

Was das zweite vatikanische Konzil nicht geschafft hat, der bekennende Atheist Onfray beschreibt es als den „inneren Offenbarungseid“ des Katholizismus, das vollendet der moderne Mensch, der eher für sein I-Phone sterben würde, als für seine Heimat.

Sind seine Analysen bezüglich der ersten Phase des Christentums endend am Ende des 15. Jahrhunderts etwas einseitig bezüglich Auftreten und Wirkung dieser Religion – sowohl über die Kreuzzüge, das sog. Wüten der Inquisition und das angeblich „Dunkle Mittelalter“ gibt es inzwischen historische Untersuchungen, die zu anderen Ergebnissen kommen –, so sind seine Aussagen über den aktuellen Zustand der europäisch-westlichen Kultur alarmierend präzise. Diese steht inzwischen den Machtansprüchen eines Islam gegenüber, der sich seit Jahrhunderten weigert, sein Geschichtsbild den Bedingungen der Moderne anzupassen und der niemals eine historische Phase aufklärerischen Gedankenguts durchgemacht hat. Die Todesdrohung gegen den Schriftsteller Salman Rushdie wegen Beleidigung des Islam, des Propheten und des Korans im Jahr 1989 und das Wegducken aller westlichen Politiker war nicht nur für Onfray ein Moment westlicher Feigheit.

„Wir haben den Nihilismus, sie haben die Inbrunst. Wir sind erschöpft, sie freuen sich bester Gesundheit. Wir haben die Vergangenheit, sie haben die Zukunft.“ Besser kann man den aktuellen Zustand der westlichen Welt, diesmal inklusive der USA, nicht formulieren. Doch schütten wir das Kind nicht mit dem Bade aus, das letzte Wort über den von Michel Onfray konstatierten Niedergang ist noch nicht gesprochen.




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Veröffentlicht am 30. Dezember 2018