Buchkritik -- Anton Pelinka -- Wir sind alle Amerikaner

Umschlagfoto, Anton Pelinka, Wir sind alle Amerikaner, InKulturA Keine andere Nation bietet eine so große Projektionsfläche für Ressentiments wie die USA. Spätestens seit der Kapitulation Deutschlands, die das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutete, war klar, dass die Vereinigten Staaten von Amerika eine Weltmacht darstellen, die in militärischer, finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht das politische Geschick in einer bis dahin unbekannten globalen Dimension beherrschen würden.

Doch im späten 20. Jahrhundert bekam diese Vormachtstellung Risse und die Weltmacht USA war gezwungen, sich, nachdem der ideologische Konkurrent UdSSR implodiert war, mit ernstzunehmenden wirtschaftlichen Gegenspielern im neuen System der Globalisierung zu messen. Die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika erwiesen sich schnell als würdige Wettbewerber auf dem nunmehr weltweiten Markt.

Ist damit der Höhepunkt US-amerikanischer Hegemonie überschritten und, so wie nicht wenige politische Beobachter es formulieren, befinden sich die USA auf dem Niedergang? Wird die Welt weniger amerikanisch, weil andere Nationen eine zunehmende Rolle bei der globalen Machtverteilung spielen werden?

Anton Pelinka, einer der bekanntesten Politologen Österreichs und ausgewiesener Kenner amerikanischer Befindlichkeiten, verneint die These vom Niedergang der USA und erklärt in seinem Buch "Wir sind alle Amerikaner" warum das Gegenteil, "Der abgesagte Niedergang der USA" so der Untertitel, der Fall ist.

Der Autor, damals sechsjährig, beschreibt seinen ersten Eindruck von Amerikanern - Soldaten - im Wien der Nachkriegszeit als "...immer nur freundlich". Das ist dann auch die Grundtendenz seines Buches über den oft beschworenen Niedergang der USA, der, so Pelinka, in Wirklichkeit die Tatsache ist, dass die Welt auf dem Weg ist, selbst amerikanisch zu werden.

Eine gewagte These, die doch, die Lektüre zeigt das, nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der nur mit Hilfe amerikanischer Truppen gewonnen wurde, lag Europa in Trümmern. Deutschland und Italien waren politisch paralysiert, die europäischen Alliierten finanziell und wirtschaftlich am Boden.

Es waren, so sagt Pelinka vollkommen richtig, die USA, die den Wiederaufbau massiv unterstützen und, nicht zu vergessen, die Demokratie als politisches System durchsetzten. Natürlich lag darin auch das Kalkül der Eindämmung der kommunistischen Gefahr, die aus den Ländern des Ostblocks drohte. Aus den ehemaligen Verbündeten USA und UdSSR wurden schnell Kontrahenten um die globale Macht.

Den Kalten Krieg haben die USA gewonnen und das lag nicht zuletzt am Scheitern der kommunistischen Wirtschaftsform. Trotz aller Kritik an den USA, und die gab es spätestens nach dem Vietnamkrieg reichlich, war es der US-amerikanische Kapitalismus, der mit seiner Verheißung "alles ist für jeden möglich" den amerikanischen Traum als Exportschlager in die ganze Welt sendete.

Anton Pelinka stellt unentwegt Vergleich zwischen Europa und den USA an und kommt zu dem Schluss, das die Stärken und Schwächen der USA längst zu denen der restlichen Welt, speziell denen Europas geworden sind. So ist der aktuelle Zustrom von Migranten nach Europa mit dem zu vergleichen, der nach dem Ende des Kalten Krieges die USA zum Ziel hatte. Leider gibt der Autor bis auf seine These, dass auch die USA ".. ihrem Ruf als Muster eines Einwanderungslandes nicht oder nicht mehr gerecht werden", keine Antwort darauf, wie sowohl die USA als auch andere Länder wie z. B. Indien oder Russland, ganz besonders aber Europa auf das Phänomen Masseneinwanderung reagieren können.

Bedenklich sogar seine Aussage bezüglich einer Mordserie, die ein "... dezidiert nationalsozialistisch etikettierter Untergrund" in Deutschland an Zuwanderern verübt hat. Bestimmt weiß auch Anton Pelinka, dass bis zur Feststellung der Schuld eines Angeklagten in einem Gerichtsverfahren, der Verdächtige als unschuldig zu gelten hat. Und ob man die Roma als "...die Afroamerikaner Europas(?)" bezeichnen kann, ist doch mehr als fraglich

Es ist die Frage, ob Europa damit gedient ist, wenn es dem amerikanischen Beispiel des "melting pots", des Schmelztiegels der Völker, folgt. Betrachtet man es historisch, dann waren die USA einst das für Einwanderer gelobte Land. Individuelle Freiheit, Chancenreichtum und das Vertrauen auf die eigene Kraft und Leistungsbereitschaft war das Credo dieser jungen Nation, das auf viele Menschen aus ebenso vielen Ländern eine große Anziehungskraft ausübte - und die konnte so lange funktionieren, bis auch die USA im 20. Jahrhundert an ihre Grenze der Aufnahmefähigkeit gelangt sind.

Nur insofern kann man die aktuelle Situation Europas, das ebenfalls unter einem enormen Migrationsdruck steht, mit der aktuellen Situation der USA vergleichen. Kein Wunder dass der erbitterte Streit um die Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung in den USA im Kern auch eine inneramerikanische Reaktion auf den anhaltenden Zustrom von Menschen aus Mexiko darstellt.

Die Welt wird amerikanischer, da ist Anton Pelinka zuzustimmen. Das liegt jedoch nicht an der politischen Strahlkraft, die die USA in der Vergangenheit zweifellos auf die Welt ausgeübt haben, sondern daran, dass dem Finanzkapitalismus US-amerikanischer Provenienz seit dem Fall des Kommunismus kein alternatives Wirtschaftsmodell entgegen gesetzt werden konnte.

Spätestens seit der globalen Finanzkrise, die, ausgelöst durch den Zusammenbruch des Immobilienmarktes in den USA, die bislang größte Gefahr für die Weltwirtschaft und, eng damit verflochten, auch eine Gefahr für das politische System Demokratie war, sollte jedem politischen Beobachter klar sein, dass, wie Anton Pelinka es ausdrückt, wir alle Amerikaner sind. Ob wir das wollen oder nicht.




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