Buchkritik -- Thomas Hettche -- Pfaueninsel

Umschlagfoto, Thomas Hettche, Pfaueninsel, InKulturA Im Südwesten Berlins liegt in der Havel die Pfaueninsel. Vom Kurfürsten wurde die Insel 1685 dem Alchimisten und Glasmacher Johannes Kunckel als Geschenk übereignet, doch im Jahr 1689 brannten die Glashütte und das Laboratorium bis auf die Grundmauern nieder. Erst 100 Jahre später unter unter König Friedrich Wilhelm II. begann die eigentliche Geschichte dieser Insel, die untrennbar verbunden ist mit wichtigen Ereignissen und Personen der brandenburgisch-preußischen Geschichte.

Auf diese Insel verschlägt es das kleinwüchsige Geschwisterpaar Marie und Christian, das, einer Laune des preußischen Königs geschuldet, hier seine neue Heimat finden wird. Thomas Hettche vereint in seinem Roman "Pfaueninsel" das Schicksal Maries und die Geschichte dieser Insel für einen Zeitraum von gut 70 Jahren miteinander und lässt mit virtuoser Meisterschaft ein Portrait des sich mit ungeheurem Tempo wandelnden 19. Jahrhundert entstehen.

Ebenso wie die Insel, unterliegt auch Marie den Mechanismen der Adelsgesellschaft und sie wird, mal spöttisch, mal ironisch, jedoch niemals erstgenommen, als "Schlossfräulein" tituliert, das aufgrund der Kleinwüchsigkeit Maries eine in der damaligen Zeit willkommene Kuriosität bot, die den Besuchern der Insel Neugier und den Schauer des Monströsen lieferte.

Thomas Hettche lässt vor den Augen des Lesers die historischen Ereignisse rund um die Pfaueninsel durch die Augen Maries Revue passieren und bedient sich dabei ausgesprochen leiser Töne, die, niemals aufdringlich, niemals plumpvertraulich, eine Welt schildern, die nur vordergründig als "gute alte Zeit" erscheint und die doch im Wesentlichen auf der gnadenlosen Trennung der Bevölkerungsschichten beruhte.

So ist es kein Wunder, das das Leben von Marie eher tragisch zu bezeichnen ist. Ihre Wünsche, Träume und Lebensvorstellungen sind zwar nicht ungewöhnlicher als die ihrer Zeitgenossen, doch aufgrund ihrer, vom gesellschaftlichen Umfeld als Monstrosität wahrgenommen, Kleinwüchsigkeit ist sie zeitlebens Außenseiterin.

Der Roman verbindet geschickt historische Tatsachen mit den individuellen Facetten einer strikt auf Klassentrennung beruhenden Gesellschaft. Trotzdem ist es Hettche gelungen, ein Panorama zu schaffen, dass sich primär daran macht, dem Leser einen wohligen Schauer des "damals war`s" zu verschaffen, dabei jedoch niemals die Grenze zur historischen Verklärung oder gar zur Kitschigkeit überschreitet.

"Pfaueninsel" ist ein historischer Roman, dem es nicht darum geht, Anklage zu erheben, sondern der durch seinen ruhigen Erzählfluss und die immer wieder einfließenden Naturbeschreibungen dieses Havelidylls ein erstaunlich vom literarischen Mainstream abweichendes und überaus unzeitgemäßes Lesevergnügen liefert.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 29. Oktober 2014