Buchkritik -- Hans Pfeiffer -- Der Selbstmord der Rosa Luxemburg

Umschlagfoto  -- Hans Pfeiffer  --  Der Selbstmord der Rosa Luxemburg Es gibt sie doch noch, die literarischen Kostbarkeiten, diejenigen, die nach der Lektüre sprachlos, aber nicht stumm machen. Die den Leser in eine Welt führen, die er erst einmal langsam entdecken muß. Alles offensichtliche und allbekannte verliert seine Gültigkeit und neue Horizonte müssen gesucht werden.

Hans Pfeiffer ist mit seinen Historischen Phantasien dieses, leider allzuseltene, Kunststück gelungen. Sieben nachweislich authentische Lebenssituationen von historischen Personen benutzt der Autor dazu, eine Situation zu schaffen, die so, aber auch anders passiert sein könnte. Geschichte unter dem "Was wäre wenn?" Aspekt betrachtet. Sehr schnell löst sich unsere gewohnte Betrachtungsweise auf und macht einer neuen, spekulativen Möglichkeitsauswahl Platz.

Gängige Klischees erweisen sich mit einem Mal als unhaltbar, weil fragwürdig. Der Ablauf der Zeit könnte ein vollkommen anderer geworden sein. Zufälle bestimmen jetzt den Gang der Geschichte. Sollte ein Alptraum Bismarks, des "Eisernen Kanzlers" für seine Politik verantwortlich sein? Tauchen etwa hinter der militärischen Fassade eines Scharnhorst Ekel und Verzweiflung über den Krieg auf? War Martin Luthers Fehde mit Thomas Müntzer und seine Hinrichtung etwa nur die Bewahrung des Status Quo der herrschenden Klasse und damit Luther ein vor der Obrigkeit kuschender Ex-Mönch?

Pfeiffer gibt ein seinem Buch keine endgültigen Antworten, wie im übrigen auch die Geschichte keine geben kann. Zu sehr ist die Historie Spielball von Ideologie und dem Diktat der Sieger. Geschichtsforschung hat primär das Ziel, Sinn in den offensichtlichen Unsinn zu bringen. Erst durch sie erfährt der zeitliche Ablauf eine Ordnung. Das Individuum mit all seinen Facetten, Widersprüchen, aber auch seinen Möglichkeiten bleiben zugunsten einer wie auch immer gearteten Objektivität auf der Strecke.

Wer dieses Buch liest, verläßt den scheinbar sicheren Boden der sogenannten historischen Fakten und schafft sich seine eigene Geschichte mit all den situativen Möglichkeiten des "Vielleicht". Was unterscheidet zwei Männer wie Hindenburg und Haarmann? Der erste ein Generalfeldmarschall der für den Tod von Tausenden im 1. Weltkrieg verantwortlich war, der zweite "nur" ein Mörder von dreißig Menschen.

Es ist die Historie selber, bzw. das, was in geschriebener Form zementiert wurde und fortan als geschichtliche Wahrheit zu gelten hat. Die Relationen werden erst von den Nachfolgenden Generationen und hier besonders von den Siegern gemacht. Es ist wichtig, immer wieder das einzelne Individuum in den Mittelpunkt seiner Betrachtung zu ziehen, denn nur hier liegt wirklich das, was die eigentliche Geschichte ausmacht. Was wäre Alexander der Große, (es ist auffällig und belegt die These von der heroischen Geschichtsbetrachtung, das eine historische Person immer dann das Attribut "Groß" bekommt, wenn sie viele Leichen hinterließ), ohne seine Soldaten gewesen, was Napoleon ohne seine Revolutionstruppen? Hinter jeder, zumal politischen Idee, stehen immer Tausende von Toten.

Hans Pfeiffer stellt in seinem gelungenen Buch immer wieder die Frage, ob der Versuch dem Unsinn der Geschichte einen Sinn zu verleihen nicht zum Scheitern verurteilt sein muß. Er betreibt historische Spielereien die so, aber auch anders gewesen sein können. Gerade hierin liegt der Reiz und die Qualität dieses Buches. Der Leser befindet sich auf einmal in einer anderen Realität. Versucht er jetzt, sich selber in der Geschichte, auch in seiner eigenen, zu verorten, dann wird er schnell sehen, wie relativ alle historischen Betrachtungen sind, wie sehr die Welt vom Zufall regiert wird. Eine tödliche Krankheit in den Kinderjahren hätte der Welt so manchen Diktator erspart.

Doch ebensogut können wir sagen, das uns auf immer unbekannt bleibende Zufälle schon dafür gesorgt haben, das die Menschheit nicht alle möglichen Diktatoren erleben mußte. Letztendlich gibt es keine Wahrheit, sondern nur verschiedene Zustände.




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