Buchkritik -- Paul Mason -- Postkapitalismus

Umschlagfoto, Buchkritik, Paul Mason, Postkapitalismus, InKulturA Paul Mason verdient sein Lebensunterhalt als Journalist, seine wahre Berufung ist allerdings, nimmt man ihn ernst, die eines Befreiers und Heilers. Sein Ziel ist die Linderung der Leiden des Einen Prozents. Ob es sich um dessen Frauen, die in Australien "...vom Bondi Beach zum Tamarama Beach joggen" und deren "... billiges Elastan [...] durch einen goldenen Schriftzug teuer wird" oder dessen Manager "... in den Wolkenkratzern von Shanghai und Singapur, [...], die sich auf den Laufbändern der Fitness-Studios auf den täglichen Wettbewerb vorbereiten" handelt, geschweige denn von deren Nachwuchs mit "[...] wohlklingenden Namen auf ihren Pullis - Harvard, Cambridge, MIT", Paul Mason hat eine Botschaft für sie. Der Kapitalismus ist tot, der Postkapitalismus längst die Realität und die heutige Informationstechnologie legt die Axt an die noch rudimentär vorhandenen kapitalistischen Strukturen.

Dazu holt er weit aus. Von Marx und dessen an nur einer Stelle im Maschinenfragment des Manuskriptes "Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie" erwähnten "general intellect", das, so Marx "allgemeine gesellschaftliche Wissen" über Nikolai Kondratjews "Wellentheorie", infolge der alle Wirtschaftszyklen vom technischen Fortschritt initiiert werden, hin zum von Mason geforderten globalgesellschaftlichen Großversuch einer auf Netzwerken aus Tauschsystemen beruhenden Sharing-Economy.

Paul Mason führt zum Beweis seiner Thesen dann auch schon mal Zyklen an, die beliebig 50, 200 und zum Schluss sogar 500 Jahre betragen und mit denen, korreliert man nur fleißig beliebige Fakten, alles und nichts bewiesen werden kann.

Er ist fasziniert von der Digitalisierung und deren Boheme, in der Mason die Träger postkapitalistischer Produktionsweise sieht. Deren Erzeugnisse sind, da in der Welt Masons augenscheinlich weder Toilettenpapier noch Zahnbürsten benötigt werden, nahezu "wertlos" im Sinn von gegen Null tendierenden Produktionskosten aufgrund, so versteht es zumindest der Autor, der Tatsache, dass es sich vorwiegend um digitale Kopien handelt. Hoffentlich gibt es dann im von Mason propagierten Postkapitalismus auch eine App zum Händewaschen.

Richten soll diese einem Menschversuch gleichkommende Transition das Lieblingsobjekt linker Theoretiker - der Staat. Unter Zuhilfenahme eines gigantischen Computerprogramms, das in Echtzeit Daten über benötigte Produkte sammelt, sie auswertet und an die entsprechenden Stellen weiterleitet, sorgt Staat/Politik für Gerechtigkeit. Wem fällt beim Stichwort Staat nicht gleich der an Peinlichkeit und Inkompetenz nicht zu überbietende Versuch, bei Berlin einen Großflughafen zu bauen, ein?

In einem Punkt muss man Paul Mason allerdings zustimmen. Der Neoliberalismus hat die Gesellschaft und deren Zusammenhalt ausgehöhlt und bislang staatlich Institutionen ausschließlich unter dem Aspekt privater Gewinnmaximierung zerstört. Hier ist, und da ist dem Autor Recht zu geben, ein starker Staat gefordert, der die Exzesse des Finanzkapitalismus bändigt.

Mason, und an dieser Stelle begibt er sich auf sehr dünnes Eis, weiß allerdings um die nicht gerade überschwänglich zu bezeichnende Freude der Menschen angesichts des von ihm geforderten Umbau des Systems, da die vorangegangenen ideologischen Ingenieursleistungen allesamt unzählige Opfer gefordert haben. Aus diesem Grund benutzt er das aktuelle Totschlagargument des vom Menschen verursachten Klimawandels. Es ist wahrscheinlich nur der deutschen Übersetzung zu danken, dass diejenigen, die ihre begründeten Zweifel daran haben, ob der Mensch wirklich allein dafür verantwortlich ist, im Buch nicht als Idioten oder Narren bezeichnet werden.

Wie oft wurde der Kapitalismus nicht bereits für tot erklärt und hat doch Mangels einer besseren und funktionierenden Alternative überlebt. Wer will schon freiwillig an dem von Mason geforderten globalen Experiment der Befreiung von Arbeit und des Wohlstands für alle durch die Revolution der Informationstechnologie teilnehmen?

Zumal, und das ist der große Widerspruch in Masons Theorie, ist die von ihm als Vorreiter des wirtschaftlichen und politischen Wandels propagierte digitale Community weniger an Veränderungen als vielmehr an preiswerten digitalen Spielzeugen interessiert. Da es, einmal ganz realistisch betrachtet, in absehbarer Zeit keine kostenlosen Produkte geben wird und wohl auch niemals geben kann, tragen ausgerechnet Masons Fahnenträger des Postkapitalismus perpetuell dazu bei, den von ihm als gescheiter erklärten Neoliberalismus zu stützen. Müssten die nämlich einen fairen Preis z. B. für ihre Smartphones entrichten, wäre schnell Schluss mit lustig.

Das Eine Prozent muss anscheinend noch eine Weile auf seine Therapie warten.




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Veröffentlicht am 29. Mai 2016