Buchkritik -- Claus Probst -- Vermint

Umschlagfoto  -- Claus Probst  --  Vermint Familiengeschichte ist nicht selten eine Chronik von Verletzungen, Missverständnissen und Niederlagen. Diese schmerzhafte Erkenntnis bedingt mit grausam-logischer Konsequenz das Eingeständnis persönlichen Scheiterns. Thomas Blohm, die zentrale Figur im Roman Vermint von Claus Probst hat sein bisheriges Leben seit Jahren hinter sich gelassen. Nachdem seine Frau ihn wegen eines anderen Mannes verlassen hatte, brach er, bis dahin ein erfolgreicher, termin- und stressgeplagter Manager, komplett mit seinem Leben. Er wurde Kampfmittelräumer bei einer Firma, die, wie es sie viele gibt, vergeblich versuchen, die Hinterlassenschaften des Krieges zu beseitigen.

In den folgenden acht Jahren, in denen er der gefährlichen Tätigkeit des Minenräumens nachging, fokussierte sich sein Leben ausschließlich auf die Gegenwart, auf seine Arbeit, die kein gestern und kein morgen kennt, die sich ausschließlich auf den Moment konzentriert. In sein Dasein, unbestimmt und unbehaust - was nicht in seiner Reisetasche Platz findet, ist unnötiger Ballast - bricht eines Tages wieder die Vergangenheit herein. Seine Tochter Clara und der Journalist Schöffler, der an Blohms Familiengeschichte interessiert ist, tauchen überraschend im Kosovo, seinem derzeitigen Räumungsgebiet auf.

Die überraschende Ankunft seiner Tochter reißt ihn aus seiner gegenwartsfixierten Lebensweise und konfrontiert ihn wieder mit lang verdrängten Ereignissen seiner Vergangenheit. Die Anwesenheit Schöfflers zwingt ihn außerdem dazu, sich mit dem Verhältnis zu seinem Vater zu beschäftigen, der eine Firma leitet, deren Gewerbe es ist, Minen herzustellen.

In diesem Spannungsfeld zwischen individueller Suche nach Wiedergutmachung und Einsicht in falsch getroffene Entscheidungen bewegt sich dieser dramatische Roman. Niemandem gelingt es auf Dauer, vor seiner Familiengeschichte, aber auch vor sich selber zu fliehen. Die Dämonen der Vergangenheit, zumal der eigenen, sind immer präsent und warten nur auf die richtige Gelegenheit, um wieder an die Oberfläche des Bewusstseins zu gelangen.

Clara will herausfinden, weshalb ihr Vater nach der Trennung von seiner Frau auch zu ihr alle Kontakte abgebrochen hat. Blohm muss erkennen, dass seine damalige Entscheidung auf das Leben seiner Tochter einen verheerenden Einfluss genommen hat. Wie nach solchen einschneidenden Ereignissen nicht unüblich, suchte seine Tochter die Schuld bei sich selber und begann daraufhin, ihren Körper zu malträtieren. Fassungslos muss Blohm erkennen, dass zwischen ihm und Clara die gleichen destruktiven Mechanismen abgelaufen sind, wie bei dem Zerwürfnis zwischen ihm und seinem Vater.

Der Journalist Schöffler, selbst ein durch seine Tätigkeit als Kriegsberichterstatter traumatisierter Mensch, will ein Buch über die Familiengeschichte der Blohms schreiben und dabei das Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn herausarbeiten. Blohm Senior verdient sein Geld mit der Produktion von Kampfmitteln, die der Sohn unter Einsatz seines Lebens versucht zu beseitigen. Mit Hilfe rückblickender Einschübe zeigt Claus Probst dem Leser, wie aus einem einst herzlichen und innigen Vater-Sohn Verhältnis ein nahezu vollständiger Abbruch von Kommunikation wurde.

In einer Schlüsselszene des Buches wird Blohms Vater bei einer Demonstration bespuckt. Dieses Ereignis führt bei Blohm zu einer Gefühlsgemengelage aus Wut, Scham und Ekel. Die daraus resultierende unausgesprochene Hilflosigkeit des Sohnes treibt den Bruch mit dem Vater voran. Für die Medien ein gefundenes Fressen, denn die Schlagzeile "Sohn räumt die Minen des Vaters" dient der Auflagensteigerung. Erst viel später erfährt Blohm vom Zwiespalt, in dem sein Vater selber vor vielen Jahren steckte. Eigentlich zum Künstler berufen, musste er jedoch die Firma seines Vaters übernehmen. Ohne Widerspruch fügte er sich der väterlichen Anordnung, sein Traum allerdings verbrannte er mit seinen Bildern.

Je länger Thomas Blohm sowohl mit seiner Tochter als auch mit dem Journalisten Schöffler kommuniziert, desto mehr kommt es ihm zu Bewusstsein, das nicht nur sein Beruf vermint ist, sondern auch in seinem Leben etliche Terrains abgesteckt sind, deren schnelles und vordergründiges Betreten verboten scheint. Wie in Minenfeldern, deren Gerätschaften unter der Oberfläche darauf warten, ihr schreckliches Werk zu verrichten, so gibt es auch in Individuen Tabuzonen, in denen, einmal hineingeraten, größte Vorsicht walten lassen muss, wer sich ihnen stellen will.

Claus Probst hat einen Roman geschrieben, der dem Leser aufgrund der Hinterlassenschaft des Krieges sowohl den Schrecken eines oberflächlichen Friedens zeigt, als auch das Entsetzen des Individuums über die persönlichen Kriege und Niederlagen in ihm selbst. Gestörte Kommunikation, verletze Eitelkeit, übertriebene Egozentrik und Selbstbetrug sind die Kampfgebiete der eigenen Psyche, die ebenfalls lange im Verborgenen warten können aber doch an der Oberfläche des Bewusstseins stetig ihre zersetzende Arbeit verrichten.

Vermint ist ein Roman, den kaum jemand ohne Gefühl von Beklemmung lesen wird.




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