Buchkritik -- Georges Minois -- Die Geschichte der Prophezeihungen

Umschlagfoto  -- Georges Minois  --  Die Geschichte der Prophezeihungen Ein wesentliches Merkmal der menschlichen Natur ist sein Bestreben, besser über die Zukunft informiert zu sein. Waren es in vorgeschichtlicher Zeit Naturphänomene und Orakel, welche er dazu benutzt hat, so wurden die Methoden der Prophezeihung im Lauf der Zeit anspruchsvoller. Nichtsdestoweniger blieben korrekte Voraussagen natürlich aus. So zahlreich die Arten der Voraussage auch waren und sind, ergaben sich doch in den wenigsten Fällen brauchbare Ergebnisse.

Georges Minois hat in seinem voluminösen Werk über Prophezeihungen diese Geschichte der Orakel, Utopien und Prognosen nacherzählt. Er schlägt dabei einen großen Bogen über 4000 Jahre Menschheitsgeschichte. Der Blick in die Zukunft hatte schon immer Hochkonjunktur, besonders jedoch in Zeiten des Umbruchs und der Krise. Praktisch jede Bevölkerungsschicht hat sich dieser Techniken bedient, um mehr über die Zukunft zu erfahren. Das machten sich natürlich ebenfalls Scharlatane und Betrüger zu Nutzen.

Minois zeigt deutlich, wie sehr sich die menschliche Psyche, seine Angst vor Neuem, sein Bedürfnis nach Sicherheit und sein Bestreben, die Zukunft schon in der Gegenwart zu wissen, durch die Jahrtausende gleich geblieben ist. Herrscher, Könige, Kaiser, sogar Päpste und andere Kleriker haben sich divinatorischer Methoden und der ausübenden Personen bedient, um der Zukunft nicht hilflos gegenüberzustehen. Dabei passierte es schnell, daß die "Kunst" der Prophezeihungen schon mal als Mittel zur Manipulation eingesetzt wurde, um sich das Volk gefügig zu machen.

Es ist faszinierend zu sehen, wie modern der antike Mensch doch war, oder wie antik der moderne Mensch. Die Fragestellung hängt von Standpunkt des Betrachters ab. In Krisenzeiten jedenfalls hatte die Wahrsagerei Hochkonjunktur. Kamen auch im Lauf der Zeit andere, neue Methoden wie zum Beispiel die Astrologie zur Anwendung, so blieb doch das Ziel das Gleiche. Erkenntnis und damit Macht über die noch im dunklen liegende Zukunft.

War es in der Antike noch die ausschließliche Bezogenheit auf die unmittelbare Gegenwart, so wurde mit fortschreitender Zeit auch das Studium der Vergangenheit dazu benutzt, um Voraussagen für die Zukunft zu machen. Ein wesentliches Merkmal der diversen Prophezeihungen war die Tatsache, daß neben allen negativen Voraussagen immer eine positive Zukunft im Mittelpunkt stand. Das hat sich seit dem 19. Jahrhundert geändert. Minois weist sehr richtig darauf hin, daß sich mit dem Beginn der rasanten technischen Entwicklung Ende des 18. Jahrhunderts die Inhalte der Prognosen verändert haben. War es zuerst noch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, welche durch Maschinen und Wissenschaft den Menschen wahrhaft paradiesiche Zustände ermöglichen sollte, so schlug dieser Optimismus um in ein Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins gegenüber den Geistern, die man selber gerufen hatte.

Dieses Gefühl kulminierte im 20. Jahrhundert durch das Aufkommen von einer gewissen Endzeitstimmung. Alle gesellschaftlichen und technischen Utopien hatten versagt, weil sie sich in ihr Gegenteil verwandelt hatten. Massenkriege und Massenvernichtungsmittel haben den Optimismus der Menschen in Bezug auf eine positive Zukunft empfindlich getroffen. Zu Beginn des neuen Jahrtausend gibt es keine Utopien mehr. Gerade dieser Zustand ist bedenklich, denn es legt sich ein pessimistischer Mehltau über die Gesellschaften der Postmoderne.

Ein geschichtlicher Rückblick wie Minois ihn zeigt, beweist, daß bei allen Prophezeihungen und Orakeln, mögen sie auch noch so finster gewesen sein, eine positive Zukunftserwartung vorhanden war. Die Utopie einer besseren Welt schwebte den Menschen vor. Diesen Mut zur Utopie hat der moderne Mensch verloren und das macht ihn im Gegensatz zu seinen Vorfahren zu einer wirklich tragischen Figur. Georges Minois zeigt mit seiner Geschichte der Prophezeihungen auch eine vielleicht schon verlorene Chance für die Zukunft auf.

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