Buchkritik -- Dieter Thomä -- Puer Robustus

Umschlagfoto, Buchkritik, Dieter Thomä, Puer Robustus , InKulturA Jede politische Ordnung, jedes staatliche System und jede Ideologie hat einen Feind, einen Außenstehenden, der sich einen Dreck um Regeln und gesellschaftlich-politisches Wohlverhalten schert. Dieter Thomä widmet diesem, wie er ihn nennt, politischen Störenfried eine groß angelegte Untersuchung.

Dieses, so Thomä, "Schwellenwesen" taucht, nicht verwunderlich, zuerst bei Thomas Hobbes auf, der ihn als kräftigen Knaben bezeichnet, als "puer robustus". Dieser denkt gar nicht daran, sich zu entindividualisieren und dem Gesellschaftsvertrag, der ihn schützen soll, anzuschließen.

Auf über 700 Seiten folgt Thomä den Spuren dieses apolitischen Typus, der dabei, so der Autor, immer an Rande und niemals im Zentrum erscheint. Man mag diskutieren, ob es wirklich bei dieser fern vom politischen Geschehen agierenden Position bleibt. So schreibt denn auch Thomä folgerichtig, dass Mao Zedongs Aufruf "Lasst hundert Blumen blühen" in der kurzen Phase politischer Liberalisierung im China des Frühjahrs 1957 mit einer Säuberungswelle gegenüber denjenigen endete, die den Appell Maos all zu wörtlich nahmen und dadurch in die Rolle von ideologischen Abweichlern gedrängt wurden. Damaliges Fazit: ein guter Störenfried stellt sich niemals gegen die offizielle Linie der Partei.

Der Autor verortet seine Figur in drei Kategorien. Der egozentrische Störenfried, der rücksichtslos seinen Eigenwillen auslebt. Der exzentrische Störenfried, der nicht weiß, wo er eigentlich hin will und deshalb abdriftet ins Ungreifbare politischer Unbestimmbarkeit. Der dritte im Bunde ist für Thomä der nomozentrische Störenfried, "der seinen Kampf gegen die Ordnung im Vorgriff auf Regeln führt, die dereinst an deren Stelle treten sollen."

"Puer Robustus" taucht auf der politischen Bühne in mannigfachen Erscheinungen auf. Bei Rousseau erscheint er als der edle Wilde mit sozialer Disposition. Bei Diderot als Typ des zynisch-radikalen Künstlers. Für Marx ist er der Proletarier schlechthin. Tocqueville hält ihn für einen zu allem bereiten Pionier und bei Freud taucht er als Ödipus auf.

Der Störenfried ist bei Thomä stets die Kraft, die positive Veränderungen bewirkt und im Idealfall gesellschaftliche und politische Entwicklungen einleitet. Dabei, legt man die Interpretation des "puer robustus" etwas großzügiger aus, stehen auch "Blutsäue" wie Napoleon, Hitler, Stalin, Pol Pot und ähnliche Verbrecher für die Figur des Störenfrieds, denen es, im Gegensatz zu den Figuren, die der Autor bemüht, seht wohl gelungen ist, vom Schwellenwesen zu einem im Zentrum agierenden zu mutieren.




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Veröffentlicht am 5. JUni 2017