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Buchkritik -- Richard Powers -- Das große Spiel

Umschlagfoto, Buchkritik, Richard Powers, Das große Spiel, InKulturA Richard Powers’ neuer Roman verwebt die Lebenswelten von vier verschiedenen Protagonisten und spannt einen Bogen zwischen der Entwicklung Künstlicher Intelligenz und den ökologischen Bedrohungen der Ozeane. Das ambitionierte Projekt, das auf zahlreiche gesellschaftlich brisante Themen verweist, wird jedoch von einer Überfrachtung an Handlungssträngen und einer unnahbaren Figurenzeichnung überschattet.

Im Zentrum steht die Freundschaft der beiden Jugendlichen Rafi Young und Todd Keane. Rafi, ein junger Schwarzer aus prekären Verhältnissen, und Todd, der privilegierte Sohn eines Börsenspekulanten, finden durch ihre gemeinsame Leidenschaft für Schach und das asiatische Brettspiel Go zueinander. Was zunächst als gegenseitige intellektuelle Bereicherung beginnt, offenbart bald die tieferliegenden sozialen und emotionalen Risse, die die Freundschaft der beiden belastet und letztlich auseinanderbrechen lässt.

Todd wird durch eine raffinierte Software, die alle anderen sozialen Medien in den Schatten stellt, zum Milliardär. Rafi dagegen leidet unter dem schweren Erbe seines Vaters, einem Feuerwehrmann, der ihn in eine rigide Ideologie des „schwarzen Klassenkampfes“ einführt. Neben der Belastung durch die Scheidung seiner Eltern und den tragischen Tod seiner Schwester, der ihn tief traumatisiert, scheint Rafis Leben von einer dauerhaften Melancholie und inneren Zerrissenheit durchzogen. Der auf eine schier obsessive Art nach dem „perfekten Ausdruck“ strebende Rafi vergräbt sich in Literatur und Introspektion, was dem Leser jedoch durch eine langatmige Darstellung seines inneren Konflikts einiges abverlangt.

Die Handlung um Todd, der, an Demenz erkrankt, im Rückblick auf die gemeinsame Jugend einem Unbekannten die Komplexität und Tragik seiner Freundschaft zu Rafi offenbart, fügt der Geschichte eine weitere Ebene hinzu. Doch während Todd bemüht ist, das Freundschaftsgeflecht zu reflektieren und Rafis unerfüllte Sehnsüchte zu begreifen, wird auch seine Rolle vom Gewicht der sozialen Diskrepanz überschattet. Powers wiederholtes Anspielen auf diese Unterschiede sowie Rafis unausgesprochen bleibende, aber latent präsente Kritik lassen den Plot zäh wirken und mindern das Spannungsmoment der Beziehung.

Ina Aroita und Evie Beaulieu komplettieren das Quartett. Ina, die in ihrer Biografie Elemente tahitianischer und amerikanischer Kultur vereint, begegnet Todd und Rafi an der Universität, und eine schicksalhafte Verliebtheit von Rafi in Ina deutet auf weitere Verwicklungen hin. Doch auch hier werden die Potenziale der Figuren und ihre Beziehung zueinander nicht ausgeschöpft.

Evie Beaulieu, die als passionierte Ozeanografin bereits in Kindheitstagen von der maritimen Welt fasziniert ist, steht zwar im Mittelpunkt des Romans, bleibt jedoch durch Powers’ emotional aufgeladene, oft pathetische Beschreibungen ihrer Erlebnisse im Wasser bisweilen befremdlich. Ihre Unterwasserabenteuer und die Verzückung, mit der diese geschildert werden, haben den Beigeschmack eines klischeehaften Heldinnenmythos – eine dokumentarische Erzählung über Meeresforschung wäre hier wohl aufschlussreicher.

Schließlich gipfelt die Geschichte in einem weiteren Handlungsstrang: die Insel Makatea, ein Naturparadies, das durch den industriellen Abbau in der Vergangenheit stark geschädigt wurde, soll von einem Konsortium zur Basis vom Bau schwimmender Städte umgewandelt werden. Die Dramatik dieses Plots leidet jedoch unter der Vielzahl an Themen und entwickelt sich kaum über den Status eines Nebenstrangs hinaus.

Das Werk von Richard Powers ist zweifellos anspruchsvoll und ambitioniert, doch bei all dem inhaltlichen Reichtum wirkt es bisweilen fragmentarisch und unfertig. Die Figuren, trotz ausführlicher Darstellung ihrer Biografien, erscheinen seltsam blass und künstlich, entwickeln sich kaum und bleiben dem Leser somit fremd und abstrakt. „Das große Spiel“ ist zwar ein vielschichtiger Roman, der jedoch Gefahr läuft, durch seine stilistische Überladenheit und einen ermüdenden Pathos zu entfremden.

Etwas verwirrend ist der Schluss des Romans, nicht weil wir erfahren, wer der bislang mysteriöse Gesprächspartner Todds ist, sondern weil bislang tot Geglaubte wieder auferstehen und der Autor sein Lesepublikum mit mehr Fragen als Antworten zurücklässt.

Wie sollen wir die Rückkehr von Rafi und Evelyn interpretieren?

Als symbolische Wiederkehr und ihr Weiterleben auf einer metaphorischen oder spirituellen Ebene?

Als Erinnerung und Trauer, als eine Art Halluzination oder Vision, die die Lebenden heimsucht, wenn sie sich mit der Endgültigkeit des Todes auseinandersetzen müssen?

Als einen philosophischen Exkurs über Zeit und Existenz, in dem Rafi und Evelyn nie wirklich „fort“ sind, weil die Zeit selbst fließend ist und alle Momente des Lebens miteinander verbindet?

Als Metapher für Versöhnung, eine Art Wiedergutmachung für die zerrissenen Familienbande und die tragischen Schicksale, die die Figuren im Laufe des Romans erlebt haben?

Oder, noch eine Möglichkeit, ist es Todd endlich gelungen mithilfe seines, wir wie jetzt wissen, mächtigen Zuhörers, etwas zu schaffen, das weit, sehr weit über die menschliche Vorstellungskraft hinausreicht?

Fragen über Fragen.




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Veröffentlicht am 30. Oktober 2024