Buchkritik -- Renato Cisneros -- Die Entfernung, die uns trennt

Umschlagfoto, Buchkritik, Renato Cisneros, Die Entfernung, die uns trennt, InKulturA „Mein Urgroßvater war ein Bastard-Sohn. Mein Großvater ein Verbannter. Mein Vater ein Ausländer. Drei illegitime und entwurzelte Männer.“ Alle drei, so schreibt Renato Cisneros weiter, waren „... Männer des öffentlichen Lebens, die ihren Ruf und ihre Eigenart verteidigten [...] Alle drei beschützen ihren Kern, ließen niemanden ihren Nabel sehen.“

Luis Benjamín und Fernán wählten den Weg des Intellektuellen, ersterer, der Urgroßvater, als Dichter, zweiterer als Direktor einer Zeitung. Der Vater dagegen war einer der einflussreichsten Generäle der peruanischen Militärdiktatur des späten 20. Jahrhunderts. Wie sich also einer übermächtigen Vaterfigur nähern, die unter der nach außen sichtbaren Fassade einen Kern besitzt, der, sorgfältig vom offiziellen Äußeren abgeschirmt, eine vollkommen andere Wahrnehmung dieser Person ermöglicht? Wie sich also der eigenen Geschichte stellen, die immer auch geprägt ist von den Vorfahren und deren Einfluss auf die jetzt Lebenden?

Renato Cisneros wurde 1976 als fünftes Kind aus einer zweiten Ehe geboren. Sein Vater war bereits 50 Jahre alt und auf dem Höhepunkt seiner militärischen und politischen Karriere. El Gaucho, teils als Kosename zu verstehen, teils als Schimpfwort benutzt, starb, als sein Sohn erst 18 Jahre alt war. Dieser begibt sich auf die, wie er es ausdrückt, literarische Verarbeitung der Suche nach seinem Vater, die er nicht als Biografie, sonders als Roman veröffentlicht hat, weil die vielen offiziellen Dokumente, die zahlreichen Film- und Radioaufzeichnungen und zeitgenössischer Aussagen das Wesentliche nicht erfassen können. „Ich musste die leeren Räume mit meiner Fantasie füllen, weil Sie auch oder vor allem aus dem, was ich mir vorstelle, gemacht sind von dem, was mir unbekannt ist und was immer ein Fragezeichen bleiben wird.“

Es ist eine vorsichtige, an vielen Stellen fast zärtliche Suche nach dem wahren Kern der Persönlichkeit seines Vaters. Zu jung um das politische Wirken des umstrittenen Innenministers während des Regimes von Francisco Morales Bermúdez und des späteren Kriegsministers zu verstehen, kann Cisneros kritische Auseinandersetzung erst nach dem Tod seines Vaters beginnen. Immer wieder trifft er auf scheinbar Unvereinbares. Obwohl Selbstwahrnehmung und das öffentliche Auftreten seines Vaters nicht immer in Übereinstimmung zu bringen sind, ist Renato Cisneros weit davon entfernt, eine Abrechnung mit der Vaterfigur zu betreiben.

Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, über Generationen erneuert, interpretiert und ausschließlich im Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu verorten, ist, zumindest im Roman „Die Entfernung, die uns trennt“, eine intime Suche nach dem, was die Persönlichkeit eines Individuums bestimmt. Immer, und das macht die Lektüre von Renato Cisneros Werk so bewegend, ist es die Kommunikation mit einer familiären Vergangenheit, die, der Autor schildert es an vielen Stellen, unweigerlich dazu führt, die eigene Gegenwart stets auch als Resultat des Lebens der vorangegangenen Generationen zu verstehen.

El Gaucho war ohne Frage ein politischer Hardliner, ein autoritärer und rücksichtsloser Politiker, ein Bewunderer von Pinochet und der argentinischen Generäle, und in seinem Kampf gegen die gewalttätige maoistische Guerilla-Bewegung Sendero Luminoso bereit, auf Kosten von Demokratie und Freiheit, die Oberhand zu behalten. Somit ist der Roman von Cisneros auch als Dokument der Zeitgeschichte zu lesen. Trotzdem gelingt es dem Autor, der sich der Fehler seines Vaters wohl bewusst ist, diesem ein Porträt zu widmen, in den er auch der anderen Seite, der des liebevollen Vaters, Gerechtigkeit widerfahren lässt.

Distanz und Intimität, das sind die beiden Pole, um die der Roman kreist. Renato Cisneros gelingt es, aus der subjektiven Perspektive des Sohnes das Bild eines Vaters zu zeichnen, das durchaus Widersprüchliches aufzeigt, und dass hinter der offiziellen und öffentlichen Geschichte eine persönliche Wahrheit steckt, die selbst den nächsten Verwandten unbekannt ist.




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Veröffentlicht am 28. April 2019