Buchkritik -- Hartmut Rosa -- Resonanz

Umschlagfoto, Buchkritik, Hartmut Rosa, Resonanz, InKulturA Wenn Beschleunigung das Problem moderner Lebensrealität ist, dann kann Resonanz die Lösung sein. So jedenfalls der Soziologe Hartmut Rosa, der mit seinem umfangreichen Werk "Resonanz - Eine Soziologie der Weltbeziehung" einen Gegenentwurf zur modern-kapitalistischen Aus- und Überdehnung vorlegt.

Der Autor hat ein großes Anliegen: der Moderne, deren soziologische Essenz die Negativität der Gesellschaftsbilder darstellt - Rosa spricht von "zugerichteten Menschen" und deren "Sklavenmentalität" - wieder die Idee "gelingenden Lebens" zu vermitteln. Und das kann nur funktionieren, wenn die Menschen wieder, oder gar zu ersten Mal, die Erfahrung, wie der Autor es nennt, "... der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren." machen.

Resonanz ist in Rosas Konzept weniger ein Echo als vielmehr eine "Antwortbeziehung" und damit kein "emotionaler Zustand, sondern ein Beziehungsmodus." Der Verlag bezeichnet dieses Buch dann auch etwas vollmundig als "Gründungsdokument einer Soziologie des guten Lebens" und tatsächlich geht es dem Autor darum zu zeigen, dass wir ohne Resonanzerfahrungen von uns entfremdet leben würden und die Welt ausschließlich als Ding betrachten.

Das, was Rosa als gelingendes Leben bezeichnet, besteht nicht im Plündern von Ressourcen oder materiellem Erwerb, sondern in einer Beziehung zur Welt, die dialogisch ausgerichtet ist. Da der Begriff Resonanz derzeit den Charakter eines Modewortes besitzt und auch gern in wissenschaftlich eher unbewiesenen Nischen verwendet wird, holt Hartmut Rosa weit, sehr weit aus, um Resonanzen nachzuweisen.

Der Körper als Wahrnehmungsapparat von Resonanz. Hören, fühlen, schmecken, riechen - Rosa verweist auf Marcel Proust und seine Madeleine-Erinnerung - sind die Tätigkeiten, die uns unmittelbar mit der Welt verbinden und diese setzen sich körperextern über unsere unmittelbare Umgebung der Familie und Freunde fort, hin zu Politik, Kunst, Geschichte und natürlich Natur.

Trotz seines überaus ausführlichen Diskurs über die Kritische Theorie, deren Vertretern Marx, Marcuse, Adorno und anderen er vorwirft, immer nur verschwommen über die Möglichkeit dessen diskutiert zu haben, was als Gegenteil der jeweils aktuellen Gesellschaft gelten könnte, begibt sich Rosa auf unsicheres Terrain, wenn er, quasi als Quintessenz seines Entwurfs, davon spricht "Eine bessere Welt ist möglich, und sie lässt sich daran erkennen, dass ihr zentraler Maßstab nicht mehr das Beherrschen und Verfügen ist, sondern das Hören und Antworten".

Das ist, bei allem Respekt dem Autor gegenüber, etwas dürftig und erinnert eher an esoterische Ratgeber als an eine ernst zu nehmende These. Wenn der Autor dann auch noch als mögliche Lösung des "Resonanzverschwindens der Moderne" das bedingungslose Grundeinkommen und die Befreiung des Menschen aus der von ihm zu Recht als "Sklavenmentalität" bezeichneten Falle in die Diskussion bringt, dann zeigt sich eher die Hilflosigkeit des Autors angesichts des "ewigen Schweigens der unendlichen Räume" als ein wirklich praktikabler Gegenentwurf.

Dabei, und das ist der große Verdienst Rosas, zeigt er das dramatische Verstummen, die Totenstille, in der der getriebene moderne Mensch in Bezug auf die Welt gefangen ist. Das Wiedererspüren von Resonanz, die Fähigkeit u. a. zum Hören und Spüren könnte ein Leben jenseits der Fixierung auf Ressourcenmaximierung und Autonomiefixierung möglich machen.

Das mag utopisch klingen, aber haben wir wirklich eine andere Wahl?




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Veröffentlicht am 19. Juni 2016