Buchkritik -- Albrecht Müller -- Die Revolution ist fällig

Umschlagfoto, Buchkritik, Albrecht Müller, Die Revolution ist fällig , InKulturA „Früher war alles besser!“ Oder etwa doch nicht? Albrecht Müller blickt zurück und sein Fazit lautet: Die Bundesrepublik ist von Weg abgekommen. Vom Weg der sozialen Marktwirtschaft zum menschen- und umweltverachtenden Neoliberalismus. Von einem Journalismus der seine Aufgabe verraten hat und zu einem „Kampagnenjournalismus“ mutiert ist, der kritiklos aufseiten der politischen Agenda steht.

Längst bestimmen global agierende Konzerne die Politik, Unternehmen und deren Anwaltskanzleien formulieren und schreiben die Gesetze, die im Namen einer neoliberalen Ideologie betriebene Privatisierung öffentlichen Wohnungsbaus und öffentlicher Dienstleister eröffnet Investoren ungeahnte Profitmöglichkeiten, die Demokratie wird durch die Parteienherrschaft ausgehöhlt und aufgrund der Unterordnung unter US-amerikanische Interessen werden längst überwunden geglaubte politische Gräben zwischen China und Russland gezogen.

So weit, so schlecht. Die Analyse des Patienten Deutschland ist überwiegend korrekt, auch wenn Albrecht den Parteien allesamt die Abdrift ins Konservativ-Reaktionäre bescheinigt, was angesichts der angewandten Politik etwas fehlinterpretiert ist. Seine Vorschläge, seine Vorstellung einer, wie er es schreibt „Projektgruppe Neue Gesellschaft“ zeigen einen Autor, dessen Herzblut an einer ehemals sozialdemokratischer Politik hängt, die primär durch Umverteilung von Geld, von oben nach unten, für soziale Gerechtigkeit und einen Aufbruch zu neuen – oder nicht doch alten? – Ufern sorgen soll.

Erbschafts-, Vermögens-, Tobinsteuer und ähnliche Umverteilungsmechanismen werden den Karren nicht mehr aus dem neoliberalen Dreck ziehen und auch die Frage, ob der Staat bestimmte Aufgaben besser erledigen kann, als private Unternehmer, sei – siehe Flughafendesaster BER – dahingestellt.

Seine Hoffnung, die FFF-Bewegung sollte sich programmatisch zu den Zielen „Ökologie, Gerechtigkeit und Frieden“ öffnen ist, bei allem Respekt, fehl am Platz, denn die in der Mehrzahl sich dort tummelnden Mittelschichtkinder würden laut aufschreien, wenn von ihnen „Verzicht“ für ein besseres Leben und eine „gerechtere“ Gesellschaft abgefordert würde. Lüneburger Heide anstelle New York oder Mauritius? Nein danke, lieber doch nicht!

Wir müss(t)en und da ist Albrecht Müller uneingeschränkt zuzustimmen, eine Menge in der Bundesrepublik ändern und auch neue Wege des Denkens einschlagen. Aber die Rezepte für die Zukunft liegen nicht in der Vergangenheit. Und, auch diese Frage bedarf dringend der Klärung, haben wir in unserem Land überhaupt noch das geistig-moralische Potenzial, um eine „Revolution“, die in Wirklichkeit keine ist, denn der Autor rät von einer „revolutionären Revolte“ ab, hinzubekommen?

Es ist leider so, wie es auch der Autor in seinem letzten Satz formuliert: „Insgesamt keine guten Aussichten. Es bleibt die Hoffnung.“

Die aber, so meine Meinung, haben alle aufmerksamen Beobachter des politischen Zeitgeists längst fahrenlassen und bedienen sich eher der „Rette sich, wer kann“ Maxime. Wie gesagt, keine guten Aussichten.




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Veröffentlicht am 28. September 2020