Buchkritik -- Jan Drees -- Sandbergs Liebe

Umschlagfoto, Buchkritik, Jan Drees, Sandbergs Liebe , InKulturA Eigentlich läuft es derzeit gut für Kristian Sandberg. Die materielle Existenz des promovierten Geisteswissenschaftlers wird endlich durch eine gut dotierte Stelle in einer Literaturagentur gesichert. Sein Aufgabengebiet und die von ihm erwarteten Leistungen passen haargenau in sein Qualifikationsprofil und das Verhältnis zu seinem neuen Chef gestaltet sich vielversprechend.

Beruf und Gehalt sind jedoch nur eine Seite individueller Existenz. Die andere, weitaus mächtigere ist die immer, nicht nur latent vorhandene Einsamkeit des Menschen und die unstillbare Sehnsucht nach der einen Person, die die oft als schmerzhaft erlebte Leere ausfüllt. Genau dies verspricht Once, eine neue Dating-App, die aktuell die Aufmerksamkeit der Netzgemeinde weckt, „...weil sie nur einen Partner pro Tag vorschlägt“ und diese „Empfehlungen handverlesen und nicht einem Algorithmus unterworfen seien.“ Als Once ihn mit Kalina bekannt macht, hofft er, das zu finden, „...was verloren gegangen ist auf dem Weg von der Literatur-Leidenschaft in eine Existenz.“ Nach dem ersten persönlichen Treffen ist Sandberg davon überzeugt, die Frau seines Lebens getroffen zu haben. Vorhang auf für ein Drama, das verstörender nicht sein könnte.

Was, zumindest für ihn, als Verwirklichung eines Traumes beginnt, entwickelt sich schnell zu einem Labyrinth widersprüchlicher Gefühle, denn Kalina, eine gut situierte Zahnärztin, erwidert seine Zuneigung auf eine ihn mehr und mehr irritierende Weise. Auch sie plane eine gemeinsame Zukunft, sogar Kinder sind im Gespräch. Doch gleichzeitig stößt sie Kristian immer wieder ab, versetzt ihn des Öfteren und missversteht absichtlich seine Äußerungen, um sie im Streit gegen ihn zu verwenden.

Sandberg verliert sich immer mehr in Selbstvorwürfen, zweifelt und leidet an sich, schafft es jedoch nicht, sich aus dieser für ihn dramatischen Spirale einer sich zur Abhängigkeit entwickelnden Liebe zu befreien. Im Gegenteil, je mehr Kalina auf der Klaviatur von Nähe und Distanz spielt, desto größer wird seine Befürchtung, dass die immer heftiger werdenden Vorwürfen gegen ihn etwas Reales, ein ihm bislang verborgen gebliebener oder gar verdrängter Teil seiner Psyche sind.

In seinem verzweifelten Bestreben die Freundin von seinen aufrichtigen Gefühlen, seiner Liebe und einer gemeinsamen glücklichen Zukunft zu überzeugen, bemerkt er nicht, dass die an ihn adressierten Vorwürfe in Wahrheit ein Spiegel von Kalinas eigenen emotionalen Defiziten sind, die sie auf Sandberg projiziert. Unabhängig davon, mit welcher Intensität, Ehrlichkeit und sogar der Bereitschaft zur Teilnahme an einer Paartherapie – die Beziehung dauert erst wenige Wochen – er sich gegen den Verlust Kalinas wehrt, ist die endgültige Trennung, ausgesprochen von ihr, der Schlusspunkt einer emotionalen Manipulation, die Sandberg alles hat verlieren lassen. Wohnung, Stolz und Selbstachtung.

Jan Drees hat mit seinem Roman „Sandbergs Liebe“ das Protokoll der systematischen (Selbst)Zerstörung eines Menschen geschrieben. Wie oft ist der Leser oder die Leserin versucht dessen Protagonisten ein lautes „Mann, wach endlich auf!“ entgegenzuschleudern, um der sich anbahnenden Tragödie Einhalt zu gebieten? Doch wer sich auch schon einmal – "The First Cut Is the Deepest" – fast um den Verstand geliebt hat, weiß, dass das unmöglich ist.




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Veröffentlicht am 31. Januar 2019