Buchkritik -- Sam Bourne -- Die Wahrheit

Umschlagfoto, Buchkritik, Sam Bourne, Die Wahrheit, InKulturA Ohne dem Autor damit etwas zu nahe treten zu wollen, immer wenn ich die Romane Sam Bournes lese, deren Heldin Maggie Costello ist, muss ich bei dieser Figur unweigerlich an die Schauspielerin Angela Lansbury, alias die Kriminalroman-Autorin Jessica Fletcher denken. Rein zufällig zur Stelle, wenn es darum geht, kriminelle Machenschaften aufzudecken und die Bösewichter dingfest zu machen, ist sie immer im Dienst der Gerechtigkeit.

Auch Sam Bourne, alias Jonathan Freedland, ein britischer Journalist, hat „seiner“ Maggie einige Eigenschaften mit auf den Weg gegeben, die diese Figur zu einem Magneten für alles unsaubere, nicht koschere und grenzwertiges bis kriminelles Verhalten macht. Rast- und ruhelos, gestählt im Haifischbecken der Macht, der US-amerikanischen Administration, in der es weder Freundschaften noch persönliche Zuneigungen gibt, dafür jedoch reichlich Intrigen und Machtgerangel, besitzt Costello immer das Gespür für abweichendes Verhalten einflussreicher und mächtiger Personen – und klopft ihnen, nicht selten unter Einsatz ihres Lebens, auf die Finger.

Diesmal, im nunmehr vierten Band um diese resolute und nicht immer ganz einfache Persönlichkeit, wird sie allerdings von der Gouverneurin von Virginia zu Hilfe gerufen, denn es geschehen merkwürdige Dinge im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Historiker werden ermordet, Bibliotheken stehen in Flammen und digitale Datenspeicher werden das Ziel von Hackern, die sich daran machen, alles gespeicherte Wissen zu löschen.

Als sich überall auf der Welt die gleichen Vorkommnisse abspielen, wird klar, dass dahinter mächtige Kreise stehen, denen es darum geht, die Dokumente der Geschichte der Menschheit auszulöschen, um, wie es in einem Manifest heißt, ein neues Eden auferstehen zu lassen, denn, so der ominöse Verfasser dieser Schrift, die Geschichte, das Erinnern und das Wissen um die historischen Zusammenhänge ist das Grundproblem der Welt, weil dadurch immer wieder Kriege geführt werden, um sich für vermeintliche, in der Vergangenheit erlittene Schmach zu rächen.

Es ist ein überaus interessanter Plot, den Bourne in seinem Thriller konstruiert und der dazu beiträgt, über manche logische Schwäche des Romans hinwegzuhelfen. Was wäre, wenn die Geschichte der Menschheit nicht mehr existieren würde? Wenn alle Zeitzeugen verschwunden sind und es keine Aufzeichnungen über die Vergangenheit mehr gibt. Wäre es wirklich der wiedergefundene Garten Eden oder nicht doch eher eine dystopische Vorstellung, deren Schrecken nicht abzusehen wäre?

Würden der Holocaust oder die Sklaverei, das Massaker von Srebrenica oder die Verbrechen am armenischen Volk wirklich aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden? Gäbe es keine historischen Unterlagen und Dokumente darüber, wer könnte dann noch beweisen, dass es diese schrecklichen Taten einmal gegeben hat?

Nebenbei bemerkt: Kurioserweise übernimmt die auch im Roman kurz angesprochene „Black Lives Matter“ Bewegung aktuell genau diese Auslöschung der Geschichte, auch wenn es unter dem Deckmantel einer historischen Korrektur geschieht.

Deswegen auch der interessante Einschub eines fiktiven Prozesses, der vor einem amerikanischen Gericht geführt wird und bei dem es sich um die Frage handelt, ob es ohne das Vorliegen historischer Dokumente überhaupt statthaft sei, die Sklaverei in den USA zu thematisieren, zumal, eine überaus pikante Note des Thrillers, sog. Zeitzeugenaussagen aufgrund des „Stille-Post-Syndroms“ zweifelhaft sein können.

Nicht immer ganz folgerichtig und, da anscheinend derzeit Trump-Bashing auch die Verkaufszahlen von Unterhaltungsliteratur in die Höhe treibt, mit reichlich Politkritik daherkommend, löst Maggie Costello den Fall diesmal wieder mit enormem Körpereinsatz und bewahrt die Welt vor dem großen Vergessen.

Mein Fazit: Leseempfehlung mit einigen Abstrichen.




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Veröffentlicht am 12. Juli 2020