Buchkritik -- Peter Strasser -- Spenglers Visionen

Umschlagfoto, Buchkritik, Peter Strasser, Spenglers Visionen, InKulturA Als 1918 der erste Band des Buches "Der Untergang des Abendlandes" erschien, traf er bei einer großen Leserschaft den Nerv der Zeit. Kulturpessimismus traf auf das sog. "Das Diktat von Versailles". Immense Reparationsforderungen begleiteten das Ende der Monarchie und die Wirren einer jungen Demokratie. Innerhalb weniger Jahre erreichte Oswald Spenglers "Morphologie der Weltgeschichte", so der Untertitel, 47 Auflagen und war in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg eine überaus wirkmächtige Veröffentlichung.

Heute, hundert Jahre nach dessen Erstausgabe sind Spenglers Gedanken, ist sein Werk in vielen Punkten widerlegt, seine kulturmorphologischen Thesen wissenschaftlich längst nicht mehr haltbar und seine von ihm als Beleg angeführten historischen Vergleiche falsifiziert. Kurz gesagt, Oswald Spengler und sein voluminöses Werk sind Geschichte.

Und doch geistert aktuell ein Begriff durch zahlreiche politische Diskussionen einer, nennen wir sie außerparlamentarischen Opposition, der wie kein anderer Spenglers Denken ins 21. Jahrhundert katapultiert hat: das Abendland. Geographisch eher schwammig, politisch-religiös dagegen extrem aufgeladen und als Definition gesellschaftlich-sozialer Dimensionen absolut unbrauchbar.

Peter Strasser, Philosophieprofessor aus Graz, arbeitet sich an dieser, inzwischen zum Kampfbegriff mutierten Reizformel ab. Mit Verve unterzieht er Spenglers Thesen - selektiv ausgesucht - einer herben Kritik. Und in der Tat können wir heute mit Modellen wie "faustische Seele", "Fellachentum" oder "Caesarismus" wenig bis nichts mehr verbinden.

Nichtsdestoweniger fallen dem aufmerksame Beobachter des politischen Zeitgeistes jedoch Parallelen ins Auge, die es wert sind, diskutiert zu werden. Spengler besaß eine sensible Antenne für die Verwerfungen seiner Zeit. Hinter seinen martialischen Bemerkungen bezüglich des Endes abendländischer Kultur stand die Wahrnehmung eines gesellschaftlich-politischen Wandels mit ungewissem Ausgang. Auch wenn wir alle Verirrungen, Verengungen und Fehlschlüsse Spenglers, Peter Strasser greift zu Recht einige auf, beiseite lassen, kommt man nicht umhin, in unserer Gesellschaft ebenfalls ein Gefühl des Unbehagens hinsichtlich aktueller Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Zukunft zu konstatieren.

Wenn der Autor davon spricht, "...dass sich die Menschen wohlfühlen wollen", kann man ihm gar nicht genug zustimmen, doch eben dieses Wohlfühlen ist einer schleichenden Erosion unterworfen, von der viele europäische Bürger glauben, sich gegen sie nicht wehren zu können, weil über ihre Köpfe hinweg und gegen den Willen der Menschen von den europäischen Eliten eine Politik betrieben wird, die, die Bürger erleben es jeden Tag auf der Straße und in ihrem unmittelbaren Umfeld, das Wohlfühlen in und mit dem politischen System mehr und mehr erschwert.

Es sind in der Mehrzahl eben keine "fremdenfeindliche(n) und nationalistische(n) Schreihälse", die die Grundprinzipien europäischen Denkens, Toleranz, Nächstenliebe und Solidarität negieren, sondern Menschen, die sich von der Parteiendemokratie nicht mehr vertreten fühlen. In der Tat muss man feststellen, dass, obwohl die Gesellschaft und der Rechtsstaat auf das Funktionieren genau dieser Parteiendemokratie angewiesen ist, der Parlamentarismus, zumindest in Deutschland durch das Fehlen einer schlagkräftigen Opposition Schaden genommen hat.

Die derzeitige Situation ist zweifelsohne beispiellos und es fehlen Paradigmen zur ihrer Bewältigung. Der Ansturm von in der Mehrzahl muslimischen Migranten auf Europa und die sich daraus ergebenden Probleme. Eine in Bürokratie und Regulierungswahn erstarrte Europäische Union, in weiten Teilen undemokratisch und intransparent. Die Globalisierung, hinter deren vollmundigen politisch-wirtschaftlichen Verheißungen sich längst die Schatten eines drohenden Kollaps ankündigen. Der sich bereits vollziehende europaweite Abstieg der Mittelklasse und die schon jetzt feststehende Altersarmut von Millionen Rentnern.

All das wird die europäischen Gesellschaften dramatisch verändern und aus diesem Grund ist es verständlich, dass, eben weil es für diesen Wandel bislang keine Definition gibt, auf Spenglers überaus plakativen, jedoch für die Lösung der kommenden Herausforderungen nutzlosen Begriff des Untergangs der Abendlandes rekurriert wird.

Wenn z. B. im Öffentlich-Rechtlichen-Fernsehen der Politikwissenschaftler Yascha Mounk verlauten lässt, "... Dass wir hier ein historisch einzigartiges Experiment wagen, und zwar eine monoethnische, monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln. Das kann klappen, das wird glaube ich auch klappen, aber dabei kommt es natürlich auch zu vielen Verwerfungen", und weder Politik noch Medienvertreter kritisieren oder hinterfragen zumindest diese Aussage, dann unterstreicht das nur die Besorgnis, die viele, sehr viele Bürger angesichts der politischen Ziele ihrer Volksvertreter haben.

Der Autor ist, das zeigen seine Argumente, keiner, der leichtfertig von "Kulturverächtern" spricht, die, in Teilen mag es sie durchaus geben und er bezeichnet sie vollkommen zu Recht als "fremdenfeindliche und nationalistische Schreihälse", das Rad der Zeit zurückdrehen wollen. Die gemeinsamen Interessen und Errungenschaften Europas, die längst jede nationale Schwurbelei als überholt entlarvt haben und deren Universalismus keine Landesgrenzen kennt, sind, auch da ist Peter Strasser zuzustimmen, zu wertvoll, als dass man sie leichtfertig zur Disposition stellen darf.

Aber großen Teilen des politischen Establishments geht es, wie es zunehmend auch viele Bürger wahrnehmen, gar nicht mehr um die von Peter Strasser verorteten "Europaverächter, Kulturverdrossene und Radialpragmatiker", sondern längst um die Desavouierung konservativen, d. h. bewahrend-kritischen Denkens. Aus diesem Grund ist die Mahnung des Autors an die Adresse der parlamentarischen Demokratie, "Sie muss, will sie überdauern, eine Konflikt- und Affektdämpfungspragmatik zu ihren zentralen Bestandsaufgaben zählen", zugleich ein Aufruf an die Politiker, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, um damit ideologischen, rückwärtsgewandten und demokratiefeindlichen Wirrköpfen, von denen, jede Wette, die meisten noch nicht einmal den Namen Oswald Spengler kennen, geschweige denn sein Buch gelesen haben, das Wasser abzugraben.





Veröffentlicht am 20. März 2018