Buchkritik -- Thomas E. Woods -- Sternstunden statt dunkles Mittelalter

Umschlagfoto  -- Thomas E. Woods  --  Sternstunden statt dunkles Mittelalter In den Kreisen des selbsternannten Bildungsestablishments gilt das Mittelalter immer noch als eine Zeit des Aberglaubens, als eine Zeit, in der die katholische Kirche ihre Vormachtstellung dogmatisch legitimierte. Erst das Zeitalter der Renaissance befreite das Individuum von seinen religiösen Fesseln und brachte es zur Selbstfindung und war damit die eigentliche Geburtsstunde der europäischen Zivilisation.

Wäre dies einzig die Meinung eines in sich abgeschlossenen Bildungszirkels, so könnte man sie als Ausdruck eines, durch kein Wissen belastetes Vorurteil gelten lassen. Doch leider hat diese pseudohistorische Auffassung Einzug in die Lehrpläne von Schulen und Universitäten gehalten. Das Mittelalter war und ist immer noch ein Synonym für Inquisition und Hexenverbrennungen.

Wenn man einmal von historisch unscharfen Begriff des Mittelalters absieht und es, wie in der aktuellen Geschichtsforschung mit den Ende der spätrömischen Antike beginnen läßt - eine Zeit welche wahrhaft verdient, die "Dunkle" genannt zu werden - dann ergibt sich ein vollkommen anderes Bild vom Einfluß der katholischen Kirche im Mittelalter, als dies bis jetzt der Fall gewesen ist.

Thomas E. Woods zeigt diese andere Rolle, welche die Kirche in den Zeiten gespielt hat, als die europäische Zivilisation kurz vor ihrem Untergang stand. In seinem Buch Sternstunden statt dunkles Mittelalter beschreibt er das Ringen der Kirche, der es in den Wirren der Völkerwanderung als einziger funktionierender Institution gelang, das dem Vergessen nahestehende Wissen zu bewahren und für uns heute selbstverständliche Kulturtechniken, wie Lesen und Schreiben, zu retten. Die Klöster wurden zu Orten des kulturellen Bewahrens. Daß sie sich, wie die Benediktiner, ebenfalls mit der Verbesserung der Landwirtschaft und Urbarmachung von bis dahin unbewohnbarem Gebiet beschäftigten, sei nur am Rande erwähnt.

So wie kein Zweifel daran besteht, daß seit der karolingischen Zeit von einem christlichen Europa gesprochen werden kann, so steht auch die Bedeutung des katholischen Glaubens für die Entwicklung der Wissenschaften außer Frage. Die Universitäten von Oxford, Bologna, Cambrigde und Paris entwickelten entgegen dem modernen Klischee von Engstirnigkeit und Dogmatismus ein reges intellektuelle Leben.

Zu Recht verweist Woods auf die Tatsache, daß es der christliche Glaube an einen Schöpfer und mit ihm verbunden die Auffassung von einem für die Menschen erkennbaren, nach festen Gesetzmäßigkeiten aufgebauten Universum gewesen ist, welches die Entwicklung der Naturwissenschaften vorangetrieben hat. Anderen Kulturkreisen wie z. B. China und anderen Religionen wie dem Islam ist dies nicht gelungen. Im chinesischen Denken ist das Wirken der Götter undurchschaubar und damit auch, zumindest für die Menschen, irrational. Der Islam dagegen erkennt zwar den allmächtigen Schöpfer an; dessen Werke sind allerdings dem menschlichen Verstand nicht zugänglich. Diese Denkblockaden anderer Kulturen führten zu dem schwindelerregenden Erfolg des europäischen Denkens in Wissenschaft und Wirtschaft in der Neuzeit.

Thomas E. Woods hat ein Buch vorgelegt, welches mit einer beeindruckenden Fülle von Fakten die europäische Geistes- und Kulturgeschichte aus dem Blickwinkel des christlichen Glaubens und ihres Repräsentanten, der katholischen Kirche, beschreibt. Er zeigt sich anhand seines Quellenmaterials auf dem neuesten Stand der Forschung. Für den neugierigen und aufgeschlossenen Leser, also für alle diejenigen, denen es auch um das Aufbrechen von Denkblockaden geht, ist dies ein spannend geschriebenes Buch, welches sich zudem noch durch eine auch für Nicht-Historiker lesbare Diktion auszeichnet.

Schlussbemerkung - Vielleicht steht unsere Zivilisation ja bereits vor den gleichen Problemen wie das Europa nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches. Morris Berman, US-amerikanischer Kulturhistoriker, sieht unsere Kultur dem Untergang nahe. Seine Idee zur Rettung des Wissens: Eine monastische Kultur, welche sich einzig und allein auf die Bewahrung und Erhaltung der Wissenschaften konzentriert. Das, gar nicht dunkle, Mittelalter läßt grüßen.




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